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Zweitens ist der Reichskanzler der verantwortliche Reichs-
minister des Kaisers. Alle Anordnungen und Verfügungen des
Kaisers bedürfen nach Art. ı7 „zu ihrer Gültigkeit der Gegen-
zeichnung des Reichskanzlers, welcher dadurch die Verantwortlich-
keit übernimmt“.
<Die Stellvertretung des Bundeskanzlers wurde bei Beurlaubung
des Bundeskanzlers dem Präsidenten des Bundeskanzleramts über-
tragen, den der Kanzler ein für allemal auch als seinen Ver-
treter im Vorsitz des Bundesrats!) bestellt hatte 2).“
Eine Stellvertretung des Bundeskanzlers in der Gegenzeichnung
hat man in den ersten Jahren nach Gründung des Norddeutschen
Bundes für unzulässig gehalten, denn die Allerhöchsten Erlasse
über die Beurlaubung des Bundeskanzlers vom ı6. Juni und
15. September 1868 und vom ı. Juli 1869 enthalten den Vor-
behalt: „Die Gegenzeichnung der Bundesgesetze verbleibt Ihnen,
dem Bundeskanzler, ausschließlich.“
Der Erlaß vom ı2. August 1869 enthält diesen Vorbehalt nicht.
einem Jabre bin ich reuevoll wiedergekommen und habe gesagt: entweder will ich:
ganz abgehen oder ich will im preußischen Ministerium das Präsidium wieder haben.“
(Sten. Ber., 1877, Bd. I, S. 73.) Auch nach seinem Rücktritte sprach sich Fürst.
Bismarck in diesem Sinne aus. So am 20. April 1894 gegenüber den Mitgliedern der
nationalliberalen Fraktion: „Die Aemter des Reichskanzlers und des preußischen Minister-.
präsidenten können auf die Dauer nicht getrennt sein, ohne die Verfassung zu fälschen“
(H. Kohl, Bismarck-Jahrbuch, Bd. I, S. 288). Dieser Gedanke wird auch in ver-!
schiedenen Artikeln der „Hamburger Nachrichten‘ wiederholt. (H. Kohl, Bismarck-
Jahrbuch, Bd. I, S. 345, 385; S. 353 wird allerdings von der Verbindung mit dem:
preußischen Minister der auswärtigen Angelegenheiten gesprochen.) In schroffem Wider-
spruch zu obigen Aeußerungen steht ein Artikel der „Hamburger Nachrichten“ vom.
März 1892 (bei Ro&ll u. Epstein, Bismarcks Staatsrecht, Berlin 1905, S. 65), der:
die Ansicht vertritt, daß die eben vollzogene Trennung der beiden Aemter „aus den
früheren Erfahrungen heraus doch nicht als absolut ungangbar zu bezeichnen ist“,
ı) Vgl. Smend, Die Stellvertretung des Reichskanzlers (Hirth, Annalen des
Deutschen Reichs, S. 322).
2) Die erste Bekanntmachung, die der Präsident des Bundeskanzleramts
veröffentlichte, ist vom 2. September 1868 (Bundes-Gesetzblatt, S. 497)
Der Kanzler des Norddeutschen Bundes.
In Vertretung:
Delbrück.