— 74 —
4. Die zahlreichen Fabriken in Meerane verarbeiten im Grunde
dieselben Garnsorten, wie die in Glauchau. Vertreter in= und
ausländischer Spinnereien haben sich daher im Orte niedergelassen,
um das Garngeschäft zu betreiben. Die Beschaffenheit des rohen
Garnes bestimmt nun zwar schon an und für sich den Wert des
Gewebes. Um diesem aber ein schönes Aussehen zu verleihen, wird
es im Orte bald scharlachrot, bald zitronengelb, bald himmelblau
gefärbt, oder auch mit bunten Farbenwellen bedruckt. Die unreinen
Abflüsse der Färbereien und Druckereien sind es daher, welche die
Bäche der Stadt bis auf den Grund trüben. Die gefärbten oder
bedruckten Garne werden dann aber nicht bloß in den Fabriken,
sondern auch von Hauswebern verwebt, die sie durch Faktore
beziehen. Von dem Hand= oder mechanischen Webstuhle wandert
das rohe Gewebe in die Appretur, in der es geschoren, gepreßt und
geplättet, mit einem Worte so verschönt wird, daß es kauffähig nach
Leipzig oder in die deutschen Seehäfen übergehen kann, die es über
das Meer in ferne Welten bringen. Die Bewohner des Ortes hätten
also wohl ihr Flüßchen nicht das „Meerchen“ zu neunen brauchen,
um nach einer Deutung ihres Ortsnamens zu suchen. Die Stadt
ist ja am Meere wohl bekannt, wenn sie auch fern vom Gestade
desselben liegt. Auch in unsern Kaufläden liegen wohl die Erzeug-
nisse des dortigen Gewerbefleißes aus, und bei ihrem Anblicke wollen
wir uns des Schnurrens der Spindeln, des Klapperns
der Stühle, des Schaffens und Raffens der Fabrikanten
erinuern und in diesen Lebensäußerungen die echte
Fabrikstadt erkennen.
5. Die dritte Stadt, welche sich den Vertretern der Webindustriec
im westlichen Kohlenbecken anschließt, ist Crimmitschau. Mit ihr
treten wir an die Ufer der Pleiße heran, die nördlich von Reichen-
bach aus schiefrigem Felsen entspringt. Auch diese Stadt hat ihre
alten Ringmauern und Tore gesprengt, als der Schnellschütze des
Webstuhles an die Stelle des Scharfschützen auf den Wällen trat.
Denn durch herbeigerufene Holländer bürgerte sich in der Mitte
des vorigen Jahrhunderts (1748 durch David Ohler) das
Spinnen und Verweben des Streichgarns ein. Dieses ist aber
das Gespinst aus Streichwolle, unter der wir die kurzen, gekräuselten
Härchen des Schafvplieses (im Gegensatz zu der längeren Kammwolle
am Rücken des Tieres) verstehen. Um der spröden Wolle die nötige
Geschmeidigkeit zu verleihen, wird sie eingefettet. Darauf müssen
Maschinenkämme die geringelten Härchen strecken, damit sie von den
Spinnmaschinen leicht zu Garn gedreht werden können. Auch dieser
Wolle wird in den Färbereien das natürliche Aussehen genommen
und ein künstliches gegeben, damit sie als schöngefärbtes Tuch den
Webstuhl verlassen kann. Nun verfilzt der Walker die abstehenden
Härchen des Tuchgewebes zu einer weichen Schicht, welche die Fäden
verdeckt. Darauf wird das gewalkte Tuch mit den kratzigen Blüten-
köpfen der Kardendistel oberflächlich aufgebürstet, so daß sich die