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stadt Siebenlehn wieder erfassen, wo sie etwa aus dem Gebirge
in unser mittelsächsisches Bergland tritt. Wir sprechen heute
von dem Freiberger Muldental in den mittelsächsischen
Bergen.
1. Wenn die Freiberger Mulde aus dem Gebiete des erzgebirgischen
Gneises in das erzgebirgische Kohlenbecken einfließt, wendet sie ihren
nordwestlichen Lauf zu einer westlichen Richtung um (Kartel). An
dieser deutlichen Umbiegung des Flusses erhebt sich linksseitig ein
felsiger Höhenrand, der von der Sohle des Flußtales etwa 10 „
hoch ansteigt. Schon im Mittelalter trug er die starke Feste Nossen,
ein Schloß „so hoch und hehr“, das in seinen massigen Mauern
und Türmen heute noch nicht bloß weit über die Lande glänzt,
sondern auch zugleich ernst in den freundlichen Talgrund blickt. Die
Bauart zeigt, daß die Gebände aus verschiedenen Zeiten stammen
und verschiedenen Zwecken dienten. Für den ältesten Teil wird das
kleinere Gebäude angesehen, das nach der Morgenseite hin liegt, und
in dessen Mauern jetzt einige Hundert schwachsinniger Mädchen er
zogen werden, damit sie sich später im Leben selbst fortfinden
können. Von andern Teilen des Schlosses aus durchstreiften die
Kurfürsten von Sachsen früher die reichen Jagdgehege, und das
Hifthorn klang auf den Höhen. Jetzt sind die umfänglichen Räume
der Sitz des Amtsgerichtes geworden, das die Rechtsordnung wahrt,
die früher die Raubritter an derselben Stelle so oft verletzten.
Neben dieser mittelalterlichen Burg thront auf der Höhe auch die
leuchtende Stadtkirche, deren südliche Eingangspforte eine Nose in
kunstvoller Steinarbeit schmückt. In der Unterstadt blickt ein Lehrer-
seminar aus dem Grün der Bäume. Nicht weit davon steht der
Bahnhof, von dem aus die Züge nicht bloß durch das Muldental
von Meißen nach Döbeln, sondern auch nach Freiberg und Riesa
brausen. So steigt der ganze Ort mit seinen einfachen,
aber schmucken Hänsern vom Tale zu den Felsenhöhen
auf, wird von schattigen Wegen umzogen, von frischem
Wasser umrauscht, von Busch und Wald umsponnen und
zeigt nicht nur eine Burg aus mittelalterlicher Zeit,
sondern anch eine Burg des kirchlichen Lebeus, der geistigen
Bildung des Volkes und des bürgerlichen Verkehrs —
ein rechter Burgort im Tal (fast 5 T..
2. Nach etwa halbstündigem Laufe führt uns der Fluß nach
dem Dörschen Zella, das sich in fruchtbarer Niederung am linken
Muldenufer erhebt. Hier umschließen hohe Ringmanern ein großes
Gartengrundstück, zu dem wir an der Abendseite durch eine gewölbte
Pforte gelangen. Neben den Wirtschaftsgebänden eines Gutes ragen
hier mitten unter den Kronen eines Obsthaines die kahlen Giebel-
wände und Mauern gestürzter Gebäude auf. Zwischen grauem
Trümmergesteine sprossen grüne Halme hervor, und an schattigen
Wegen liegen alte Säulenstümpfe und Bogenstücke. Uberall hat die