Preußen. 131
„Das Haus der Abg. naht dem Throne in einem Augenblick, in welchem
es leider nicht mehr zweifeln kann, daß Ew. Maj. die Absichten des Hauses
und die Wünsche des Landes nicht der Wahrheit getreu vorgetragen werden.
Es erfüllt noch einmal seine Gewissenspflicht, indem es vor Ew.
Mgjestät in tiefster Ehrfurcht erklärt: Das Haus der Abgeordneten hat kein
Mittel der Verständigung mehr mit diesem Ministerium; es lehnt seine Mit-
wirkung zu der gegenwärtigen Politik der Regierung ab. Jede weitere Ver-
handlung befestigt uns nur in der Ueberzeugung, daß zwischen den Rathgebern
der Krone und dem Lande eine Kluft besteht, welche nicht anders als
durch einen Wechsel der Personen, und mehr noch, durch einen Wechsel
des Systems ausgefüllt werden wird. K. Maj.! Das Land verlangt
vor allem die volle Achtung seines verfassungsmäßigen Rechts.
Seit dem Bestehen der Verfassung sind die Rechte und Interessen der Krone
von der Volksvertretung stets gewissenhaft geehrt, ist den Ministern die An-
erkennung und Ausübung ihrer verfassungsmäßigen Rechte nie bestritten wor-
den. Aber die wichtigsten Rechte der Volksvertretung sind miß-
achtet und verletzt. Vergeblich harrt das Land der in der Verfassung ver-
heißenen Gesetze. Möge Ew. kgl. Maj. diesem Zustande, der für Staat und
Königthum schwere Folgen birgt, eine Schranke setzen. Möge so, wie in
den ruhmreichsten Tagen unserer Vergangenheit, Ew. Majestät den Glanz des
königlichen Hauses, die Macht und Sicherheit der Regierung in dem gegen-
seitigen Bande des Vertrauens und der Treue zwischen Fürst und Volk suchen
und finden! Nur in dieser Einigkeit sind wir stark. Getrost können wir
dann — aber auch nur dann — einem jeden Angriffe entgegensehen, er
komme woher er wolle.“
24. Mai. Der König lehnt es wiederum ab, die Adresse des Abge-
ordnetenhauses persönlich entgegen zu nehmen.
26. „ Antwort des Königs auf die Adresse des Abgeordnetenhauses,
wiederum ohne Gegenzeichnung eines Ministers:
„Ich habe die Adresse des Hauses der Abgeordneten vom 22. d. M. er-
halten. Wenn die Erwiederung auf Meine Botschaft vom 20. d. nur der
bereits zur Berathung gestellten Adresse einleitend hinzugefügt worden ist, so
steht dies Verfahren mit den früher und jetzt wiederholten Versicherungen ehr-
furchtsvoller Gesinnungen gegen Mich nicht im Einklang. Eine Bethätigung
dieser Gesinnungen kann Ich auch in der vom Hause ausgesprochenen Voraus-
setzung nicht finden, daß Mir die Absichten des Hauses und die Wünsche des
Landes nicht der Wahrheit getreu vorgetragen werden. Das Abgeordnetenhaus
sollte es wissen, daß Mir die Lage des Landes wohl bekannt ist, daß
Preußens Könige in und mit, ihrem Volke leben, und daß sie ein klares
Auge und ein warmes Herz für die wahren Bedürfnisse des Landes haben.
Auch über die Vorgänge in der Sitzung vom 11. ds. war Ich genau und
wahrheitsgetreu unterrichtet. Es hätte deßhalb der Einreichung des stenogra-
phischen Berichts über dieselbe nicht bedurft. Die Thatsache steht fest, daß das
Präsidium einen Meiner Minister nicht nur unterbrochen und ihm Schweigen
geboten, sondern ihm auch durch Vertagung der Sitzung das wieder ertheilte
Wort sofort entzogen hat. Diesem Acte konnte keine andere Deutung gegeben
werden, als daß es sich um eine Anwendung der Disciplinargewalt des Prä-
sidiums gehandelt habe. In seinen Rückäußerungen auf die Schreiben des
Staatsministeriums vom 11. und 16. d. hat das Haus der Abgeordneten es
vermieden, sich über den Hauptpunkt auszusprechen. Auch die Adresse versucht
ihn zu umgehen. Wenn es in derselben jedoch heißt: „das Haus hat von
den Ministern keine Verzichtleistung auf ihre verfassungsmäßige selbständige
Stellung gefordert," so sehe Ich hierin neben dem Anerkenntniß, daß die
Vertreter der Krone — wie selbstverständlich — der Disciplinargewalt des
Präsidiums überhaupt nicht unterworfen sind, insbesondere die Zusicherung,
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