Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierter Jahrgang. 1863. (4)

134                                              Preußen. 
 
beiten begleitet war, insbesondere aber durch die an des Königs Majestät ge- 
richtete Adresse vom 29. Januar ds. Js. in einen schroffen Gegensatz zu der 
Regierung getreten, und obgleich an dasselbe durch den Allerh. Erlaß vom 
3. Februar d. J. die ernste Aufforderung ergangen war, sowohl durch Aner— 
kennung der in der Verfassung den verschiedenen Gewalten festgesetzten Schran— 
ken, als durch bereitwilliges Eingehen auf die landesväterlichen Absichten Sr. 
Maj. des Königs das Werk der Verständigung zu ermöglichen, so ist doch 
das Haus in seiner dieser Verständigung widerstrebenden Haltung verblieben; 
namentlich hat dasselbe durch weitgreifende Verhandlungen über die aus- 
wärtige Politik die Wirksamkeit der Regierung Sr. Majestät zu lähmen 
gesucht und dadurch die Aufregung in den an Polen grenzenden Provinzen 
wesentlich gesteigert. Das Haus der Abgeordneten hat nicht Bedenken getra— 
gen, den Entstellungen und Angriffen der Gegner der preußischen Regierung 
Ausdruck zu geben und Besorgnisse wegen äußerer Gefahren und kriegerischer 
Verwickelungen zu erregen, zu denen die Beziehungen der Regierung Sr. Maj. 
zu den auswärtigen Mächten keine begründete Veranlassung gaben. Schließlich 
hat das Haus in der Adresse vom 22. ds. Mts. der Regierung die ihm ver- 
fassungsmäßig obliegende Mitwirkung überhaupt zu versagen erklärt; hiermit 
ist der Schluß seiner Berathungen unvermeidlich geboten. Die Regierung 
Sr. Maj. kann es nur tief beklagen, daß die Erledigung der dem Landtage 
vorgelegten Finanzgesetze, und namentlich die zeitige Feststellung des Staats- 
haushaltsetats für das Jahr 1863 auf diese Weise vereitelt worden ist, und 
behält sich die Entschließung über die Wege vor, auf welchen dieselben 
zum Abschluß zu bringen sein werden. Die Regierung Sr. Majestät er- 
kennt den vollen Ernst ihrer Aufgabe und die Größe der Schwierigkeiten, 
welche ihr entgegentreten; sie fühlt sich aber stark in dem Bewußtsein, daß es 
die Bewahrung der wichtigsten Güter des Vaterlandes gilt, und wird daher 
auch das Vertrauen festhalten, daß eine besonnene Würdigung dieser Interessen 
schließlich zu einer dauernden Verständigung mit der Landesvertretung führen 
und eine gedeihliche Entwickelung unseres Verfassungslebens ermöglicht werde." 
1. Juni. Die Regierung erläßt eine Preßordonnanz, durch welche 
die verfassungsmäßige Freiheit der Presse beseitigt wird: 
         „1) Die Verwaltungsbehörden sind befugt, das fernere Erscheinen einer 
inländischen Zeitung oder Zeitschrift wegen fortdauernder, die öffentliche Wohl- 
fahrt gefährdender Haltung zeitweise oder dauernd zu verbieten. Eine Ge- 
fährdung der öffentlichen Wohlfahrt ist als vorhanden anzunehmen, nicht bloß 
wenn einzelne Artikel für sich ihres Inhaltes wegen zur strafrechtlichen Ver- 
folgung Anlaß gegeben haben, sondern auch dann, wenn die Gesammt- 
haltung des Blattes das Bestreben erkennen läßt oder dahin wirkt: die 
Ehrfurcht und die Treue gegen den König zu untergraben, den öffentlichen 
Frieden durch Aufreizung der Angehörigen des Staates gegen einander zu 
gefährden, die Einrichtungen des Staates, die öffentlichen Behörden und deren 
Anordnungen durch Behauptungen zu entstellen oder durch Schmähungen und 
Verhöhnungen dem Hasse oder der Verachtung auszusetzen, zum Ungehorsam 
gegen die Gesetze oder gegen die Anordnungen der Obrigkeit anzureizen, die 
Gottesfurcht und die Sittlichkeit zu untergraben, die Lehren, Einrichtungen 
oder Gebräuche einer der christlichen Kirchen oder einer anerkannten Religions- 
gesellschaft durch Spott herabzuziehen. 2) Das Verbot erfolgt, nach vorheriger 
zweimaliger Verwarnung des betreffenden Verlegers, durch Plenarbeschluß 
der Regierung, in deren Bezirke die Zeitung oder Zeitschrift erscheint. 3) Wenn 
der Regierungspräsident die Ueberzeugung gewinnt, daß die Haltung einer 
Zeitung oder Zeitschrist den in § 1 bezeichneten Charakter hat, so hat er dem 
Verleger derselben zunächst eine mit Gründen unterstützte schriftliche Verwar- 
nung zu ertheilen. Bleibt diese und eine nochmalige Verwarnung fruchtlos,
	        
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