Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierter Jahrgang. 1863. (4)

Trankreich. 193 
die Tiefe des Uebels übereinstimmend, gibt er als wünschenswerth zu, sich 
über die Mittel zur Abhülfe zu verständigen. Außerdem lädt er uns ein, 
uns mit ihm in Erklärungen einzulassen. — Es war also für die Regierung 
des Kaisers, sowie für die Cabinette von London und Wien der Augenblick 
gekommen, ihre Ideen über das zur Erreichung ihrer gemeinsamen Bestre- 
bungen zu beobachtende Verfahren auszutauschen und, von dem versöhnlichen 
Geiste beseelt, der sie bereits bei ihren früheren Schritten geleitet, kamen sie 
überein, der russischen Regierung als Grundlage der Unterhandlungen fol- 
gende sechs Punkte vorzuschlagen: (Folgen die sechs Punkte s. Oesterr.) — 
Mehrere der Bestimmungen dieses Programmes, bilden einen Theil des 
Planes, den sich das Petersburger Cabinet für sein Auftreten vorgezeichnet 
hat. Die andern gehen kaum über die verheißenen oder in Aussicht gestellten 
Reformen hinaus. Sämmtliche sind der einfachste- Ausdruck der Grundgesetze 
der Gerechtigkeit und Billigkeit, und enthalten nichts, was nicht in Ueber- 
einstimmung mit den Stipulationen der Verträge stünde, welche die russische 
Regierung in Bezug auf Polen binden. Wir geben uns also gerne der Ueber- 
zeugung hin, daß diese Vorschläge von Seiten des St. Petersburger Cabinets 
keine Einwendung hervorrufen werden und dieses sie als Grundlagen der 
Unterhandlungen annehmen wird. — Wenn andrerseits die Cabinette, indem 
sie sich an Rußland wenden, den Gründen des allgemeinen Interesses ge- 
horchen, so haben doch auch die Rücksichten der Menschlichkeit an dem Gefühle, 
das sie leitet, ihren Antheil. Polen bietet in diesem Augenblick einen schmerz- 
lichen Anblick dar. Je länger der Kampf sich hinauszieht, um so blutiger 
wird er durch die Erbitterung und den Haß auf beiden Seiten werden. Sicher- 
lich wünscht der russische Hof das Aufhören der Feindseligkeiten, welche Noth 
und Trauer in den alten polnischen Provinzen verbreiten. Das Fortdauern 
dieser Gräuel während der Unterhandlungen könnte eine Debatte, welche, wenn 
sie nützen soll, ruhig bleiben muß, einen gereizten Charakter verleihen. Es 
wäre also statthaft, für eine auf Beibehaltung eines militärischen status quo 
begründete provisorische Pacificirung zu sorgen, welche der Kaiser von Ruß- 
land verkünden würde, und welche die Polen ihrerseits unter ihrer eigenen 
Verantwortlichkeit einzuhalten hätten. — Was die Form dieser Unterhand- 
lungen anbelangt, so hat die russische Regierung selber in ihren Mittheilungen 
an die drei Cabinette ihre Ansicht hierüber kundgegeben. Sie hat in ihrer 
Depesche an Baron Budberg vollkommen das Recht der ehedem zur Regelung 
des politischen Systems von Europa zusammenberufenen Mächte anerkannt, 
sich mit den Verwickelungen zu beschäftigen, welche dieses System stören könn- 
ten. Noch ausführlicher sprach sie sich hierüber gegen Baron Brunnow aus: 
„Se. Maj., sagte Fürst Gortschakoff zu dem russischen Gesandten in London, 
gibt zu, daß, bei der eigenthümlichen Lage des Königreichs, die aufregenden 
Unruhen die Ruhe der angrenzenden Staaten stören können, zwischen welchen 
am 3. Mai 1815 die zur Regelung der Geschicke des Herzogthums Warschan 
bestimmten Separatverträge zu Stande kamen. Se. Maj. gibt ferner zu, daß 
diese Unruhen auch die Mächte interessiren können, welche die allgemeine 
Transaction vom 9. Juni 1815 unterzeichnet haben, in welche die Haupt- 
bestimmungen dieser Separatverträge aufgenommen worden sind.“ — So gab 
also das St. Petersburger Cabinet von vornherein und. unaufgefordert zu 
verstehen, daß es die Mitwirkung der an der Schlußacte des Wiener Con- 
resses betheiligten acht Mächte annehme. Indem die Regierung Sr. Maj. 
ferter den Dispositionen, deren versöhnlichen Charakter sie würdigt, zu ent- 
sprechen beabsichtigt, ist sie bereit, ihrerseits diesen Unterhandlungen beizutre- 
ten, und sich in der Conferenz, deren Zustandekommen zweckmäßig erscheinen 
wird, vertreten zu lassen, wenn, wie wir hoffen, Rußland den ihm zur An- 
nahme von den drei Mächten vorgeschlagenen Grundlagen beitritt. Wir werden 
uns glücklich schätzen, wenn die Entschließung, welche Kaiser Alexander fassen 
wird, im. Einklange mit den großen Interessen steht, welche wir aus gleich- 
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