Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierter Jahrgang. 1863. (4)

13. 
Nußland,. « 249 
stehenden diplomatischen Schritte der europäischen Großmächte wo 
möglich die Spitze abzubrechen, eine bedingte Amnestie an: 
„. .. In Unserer Fürsorge für die Zukunft des Landes wollen Wir alle 
vergangenen Acte der Empörung der Vergessenheit übergeben. Demgemäß be— 
willigen Wir, voll dem sehnlichen Wunsche beseelt, dem Blutvergießen, welches 
eben so fruchtlos für die einen als schmerzlich für die anderen ist, ein Ziel zu 
setzen, allen Unseren Unterthanen im Königreich, welche sich bei den letzten 
Unruhen betheiligt haben, vollständige Verzeihung, wenn ihnen für andere 
Verbrechen oder für in den Reihen Unserer Armee verübte Vergehen keine 
Verantwortlichkeit zur Last sällt, und wenn sie bis zum 1. (13.) Mai die 
Waffen niederlegen und zum Gchorsam zurückkehren. Uns liegt die Verpflich- 
tung ob, das Land vor der Wiederkehr jener ordnungswidrigen Agitation zu 
bewahren und seinem politischen Leben eine neue Aera zu eröffnen. Diese 
kann nur durch eine rationelle Organisation der Autonomie in der Localver= 
waltung, als Grundstein des ganzen Gebäudes, eingeführt werden. Wir ha- 
ben in den dem Königreich durch Uns verliehenen Institutionen die Grund- 
lagen dazu gegeben; zu Unserem aufrichtigen Bedauern hat aber das Resultat 
noch nicht der Prüfung der Erfahrung unterworfen werden können in Folge 
der Aufreizungen, welche an die Stelle der für jede Reform unerläßlichen Be- 
dingungen der öffentlichen Ordnung Chimären der Leidenschaft gesetzt haben. 
Indem Wir auch heute noch diese Institutionen in ihrer Integrität aufrecht 
erhalten, behalten Wir Uns vor, wenn sie sich in der Praxis bewährt haben 
werden, mit deren weiterer Entwickelung nach den Bedürfnissen der Zeit und 
des Landes vorzugehen. Nur allein durch das Vertrauen, welches das Land 
Unsern Absichten gegenüber zeigen wird, wird das Königreich Polen die Spuren 
des gegenwärtigen Unglücks verwischen und sicher auf das Ziel losgehen können, 
welches Unsere Fürsorge ihm bezeichnet. Wir rufen hiezu den göttlichen Bei- 
stand an, damit es Uns vergönnt sei, das, was Wir immer als Unsere Mis- 
sion betrachtet haben, zu erfüllen.“ 
„ (Polen). Die geheime Nationalregierung verwirft sofort die 
durch den Telegraphen gemeldete Amnestie des Kaisers: „Wir er- 
klären entschieden, daß wir jede Gnade verwerfen. Denn wir haben 
den Kampf begonnen, nicht um mehr oder weniger freie Institutio- 
neu zu gewinnen, die unter der moskowitischen Regierung niemals 
irgend eine Garantie uns bieten können, sondern um das uns ver- 
haßte Joch abzuwerfen und vollständige Unabhängigkeit und Freiheit 
zu erkämpfen. Die Nation vergießt ihr Blut, denn sie will poli- 
tische Eristenz, denn sie will Unabhängigkeit, will eine selbststän- 
dige Nation bilden. In wessen Brust ein echtes polnisches Herz 
schlägt, der wird bei der Erinnerung an die vielen Grausamkei- 
ten der moskowitischen Regierung, beim Anblick so vieler frischer 
Grabhügel und so vieler Opfer, beim Anblick der rauchenden 
Trümmer unserer Städte und Dörfer, beim Anrblick des noch nicht 
erkalteten Blutes unserer hingemordeten Brüder, nur mit Schaudern 
an irgend einen Vertrag mit Moskau denken können, wird die Am- 
nestie mit Verachtung von sich weisen und mit der ganzen Nation 
ausrufen: Weg mit Czarengnade, wir haben das Schwert ergriffen, 
das Schwert allein wird unsern Streit mit Moskau entscheiden.“ 
17. „ Die Gesandten Frankreichs, Englands und Oesterreichs übergeben 
gleichzeitig und mit identischen Begleitschreiben dem russischen Ca- 
binet die Noten ihrer resp. Höfe zu Gunsten Polens.
	        
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