Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierter Jahrgang. 1863. (4)

256 Rußland. 
Helsingfors verweigern wiederholt die ihnen zugemuthete Unter- 
zeichnung von Loyalitälsadressen an den Kaiser. 
2. Juni. (Polen). Die geheime Nationalregierung erläßt durch De- 
cret ein Strafgesetz in Sachen der politischen Verbrechen und or- 
ganisirt die Revolutionstribunale: 
„Die Nationalregierung: Vom Tage der Veröffentlichung des De- 
crets verpflichtet die Einwohner des Landes folgendes Strafgesetz in Sachen 
der politischen Verbrechen. Die Nationalregierung verordnet: & 1. Jede That, 
welche geeignet ist, die Thatkraft der Nationalregierung zu schwächen, den 
revolutionären Impuls zu gefährden, überhaupt alle Thaten, welche der na- 
tionalen Sache schädlich sind, werden als Staatsverbrechen betrachtet. § 2. Die 
Revolutionstribunale werden an den des Staatsverbrechens Schuldigen fol- 
gende Strafen vollziehen: Todesstrafe, Ehrenverlust, verbunden mit Bekannt- 
machung in den Zeitschriften, endlich Ausweisung aus dem Wohnorte und 
sogar aus dem Lande auf längere oder kürzere Zeit. Die Wahl einer dieser 
Strafen hängt von der Höhe der Schuld ab, deren der Angeklagte überführt 
ist. Im Falle die Todesstrafe nicht vollzogen werden kann, wird der Ver- 
urtheilte außerhalb des Schutzes der Gesetze erklärt. # 3. Als Grundsatz 
wird angenommen, daß jeder Bürger das Recht hat, einen andern zu ver- 
klagen — durch Anzeige. Die Vorschrift, welche in diesem Paragraphen ent- 
halten ist, unterliegt Ausnahmen, und zwar: Regierungscommissäre, sowohl 
Civil als Militär, Wojewedschaftsvorsteher, in Warschau fungirende Beamte 
werden dem Gerichte in Folge einer Qualifikations-Decision der National- 
regierung übergeben werden. Kreisbeamte werden gerichtet auf Anklage ört- 
licher Regierungscommissäre. Die Untersuchung wird von dem Nevolutions-= 
tribunal geführt. Jedem Angeklagten steht die Vertheidigung zu. Das Ur- 
theil wird durch die Zeitungen bekannt gemacht.“ 
„Die Nationalregierung, erkennend die dringende Nothwendigkeit, 
dem politisch-revolutionären Gericht die wahren Wege anzuweisen, verordnet 
Folgendes: § 1. In jedem Kreise, und in der Stadt Warschau besonders, 
werden Revolutions-Tribunale eingeführt. § 2. Die Jurisdiction der Kreis- 
Revolutions-Tribunale erstreckt sich bloß auf den Kreis, in welchem sie ein- 
geführt worden. Dem Warschauer Revolutions-Tribunal unterliegen alle 
Einwohner der Stadt und' Vorstadt, ohne irgend eine Ausnahme. § 3. Ent- 
zogen sind der Macht des Revolutions-Tribunals Militärs in activem 
Dienst, für welche besondere Kriegsgerichte existiren. § 4. Jedes Revolutions- 
Tribunal besteht aus einem Präses und zwei Mitgliedern. Das Urtel wird 
durch Stimmenmehrheit gefällt. §. 3. Auf Vorstellung der Regierungs- 
commissäre wird die Nationalregierung zu jedem Kreistribunal einen Präses 
und zwei geschworne Richter berufen. Die Ernennung der Mitglieder des 
Revolutions-Tribunals erfolgt unmittelbar durch die Nationalregierung. 
§ 6. Bei jedem Revolutions-Tribunal wird ein Procurator durch Nomination 
der Nationalregierung fungiren. In der Stadt Warschau wird die National- 
regierung von den beiden Candidaten, welche ihr die städtische Aufstandsorganisa- 
tion vorgestellt, einen Procurator ernennen. Der Procurator ist der öffentliche 
Ankläger, seine Pflicht ist Aufsicht der stricten Vollführung des gefällten Urtheils. 
Die Revolutions-Tribunale werden auf Grund des von der Nationalregierung 
bestätigten Strafcodex und des Verfahrungscodex ihr Urtheil fällen.“ 
8. Juni. (Litthauen). Der neue Generalgouverneur Murawiew er- 
X greift die äußersten Mittel, um die Insurrection in Litthauen zu 
unterdrücken, indem er eine „Instruktion für Errichtung einer Mi- 
litär-Civilverwaltung" in den ihm untergebenen Gubernien erläßt,
	        
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