Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierter Jahrgang. 1863. (4)

266 Kußland. 
concentrirt, und den europäischen Charakter der Frage bil— 
det, zwischen den Großmächten besteht. Wir mußten um so mehr die Auf— 
merksamkeit der Regierung des Kaisers Napoleon diesem Gegenstande zuwenden, 
als einer der Hauptherde dieser Aufregung sich in Paris selbst befindet. Mit 
Benützung ihrer gesellschaftlichen Verbindungen hat die polnische Emigration daselbst 
eine ausgedehnte Verschwörung organisirt, die einerseits den Zweck hat, durch 
ein System beispielloser Schmähung und Verläumdung die öfsentliche Meinung 
Frankreichs irre zu führen, andererseits, die Unordnungen in dem Königreiche 
theils durch materielle Unterstützung, theils durch die Schreckensherrschaft eines ver- 
borgenen Comité's, theils durch Verbreitung besonders der Ueberzeugung einer ac- 
tiven Intervention von Außen zu Gunsten der unsinnigsten Bestrebungen des 
Aufstandes, zu unterhalten.- Dieser Einfluß ist heutzutage die Hauptquelle einer 
Aufregung, die ohne denselben bereits unter der Action der Gesetze, vor der 
“* Gleichgültigkeit oder dem Widerwillen der großen Masse erloschen wäre. In 
ihm muß man also die moralische Ursache der Verlängerung der peinlichen 
Sachlage suchen, deren schleunige Beilegung die französische Regierung, wie 
wir, so sehnlich im Namen des Friedens und der Menschlichkeit herbeiwünscht. 
Wir geben uns gerne dem Glauben hin, daß sie keinen Mißbrauch ihres 
Namens zum Vortheil der Revolution in Polen und Europa gestattet wird. 
Diese Erwägungsgründe bestimmen den Charakter der von uns an das Tui- 
leriencabinet gerichteten Einladung; sie bestimmen gleichfalls den Gegenstand 
und die Tragweite des Ideenaustausches, zu dem wir dasselbe aufgefordert 
haben. Wenn in einem Lande die Ordnung ernstlich gestört ist, so vermögen 
die benachbarten Staaten nicht gleichgültig dabei zu bleiben, und die übrigen 
Mächte können ohne Zweifel, im Hinblick auf die allgemeine Sicherheit, An- 
theil daran nehmen. Aber ein positives Recht in dieser Beziehung läßt sich 
nur auf die Bestimmungen der bestehenden Verträge begründen. Deshalb 
müssen wir selbst aus dem freundlichen Ideenaustausche, 
auf den wir uns einzulassen geneigt sind, jede Anspielung 
auf Theile des russischen Reiches ausschließen, auf welche sich 
keine Sonderbestimmung irgend einer internationalen Acte 
anwenden läßt. . ..“ 
Antwort an Desterreich: „. . . In Bezug auf Berathungen in 
Conferenz, an welchen alle Mächte, welche die Wiener Generalacte v. 27. Mai 
(9. Juni) 1815 unterzeichnet haben, Theil nehmen würden . .. vermöchten 
wir weder Opportunität noch praktischen Nutzen darin zu erkennen, daß ihrer 
Berathung Fragen unterzogen würden, welche sich an das innerste Detail der 
Verwaltung des Königreichs knüpfen würden. Keine Großmacht könnte auf 
eine solche directe Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten eingehen. Die— 
selbe liegt übrigens weder im Geiste, noch im Buchstaben der bestehenden Ver— 
träge und würde das Ziel der Pacifikation, auf welches alle Wünsche und 
Bemühungen der Mächte gerichtet sind, nur weiter hinausrücken, indem sie 
die Anmaßungen der polnischen Agitatoren um eben so viel erhöhen, als das 
Ansehen der souveränen Autorität verringern würde. Herr Graf v. Rechberg 
hat, indem er seinen eventuellen Beitritt zu einer derartigen Combination von 
der vorläufigen Zustimmung des kaiserlichen Cabinets abhängig machte, mit 
einem von unserem erhabenen Gebieter vollkommen gewürdigten Billigkeits- 
gefühle selbst die Unmöglichkeit geahnt, in welcher wir uns befänden, darauf 
einzugehen. Wir erkennen mit Vergnügen in dieser Zurückhaltung einen Be- 
weis der freundschaftlichen Gesinnungen des Wiener Cabinets und ein Zeugniß 
der richtigen Würdigung der Situation von Seite des Herrn Grafen von 
echberg. 
15. Juli. Ein kaiserl. Decret ordnet für den November eine neue Recru- 
tirung von 10 auf 1000 Seelen an. 
18. , (Litthauen). Ein Decret Murawiews belobt die von ihm ins
	        
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