Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierter Jahrgang. 1863. (4)

Horsencurse. 361 
der Geldwerth beträchtlich anziehen mußte. Dazu kam noch ein fortwährender Ex- 
port von Gold und Silber für die aus dem Oriente eingeführte Baumwolle. Als 
nun in Folge der Ueberspeculation und einer momentanen Wendung der polnischen 
Wirren der Börsenschwindel nachließ, da wurde die eintretende Ernüchterung durch 
den fortwährend steigenden Disconto rasch gefördert. Schonungslos modifizirte die 
Bank von England dem jeweiligen Bedürfnisse entsprechend den Disconto, erhielt da- 
mit der Bank stets eine angemessene Reserve und beugte so dem Ausarten der Klemme 
in eine Krisis aus. Die meisten soliden Werthpapiere, Staats= und Eisenbahneffekten 
so wie anerkannte Bankactien schlossen höher als am Schlusse des Jahres 
1862. Aber auch der größte Theil der neugeschaffenen Actien notirten — auf 
dem Kurszettel wenigstens — bei Jahresschluß mit Agio. Dabei waren die Baum- 
wollpreise neuerdings auf eine nie gesehene Höhe geschraubt worden. Von gediegenen 
umsichtigen Häusern wurde daher die finanzielle Lage des englischen Marktes immer 
noch als cine sehr gefährliche bezeichnet. Würde es in Amerika zu einem raschen 
Friedensschlusse kommen, dann würden große Verluste in vielen Branchen unvermeid- 
lich sein. Aber auch ohne die Wiederherstellung des Friedens in Amerika wird es 
vielfach als fraglich angesehen, ob die wenn auch noch so starke Constitution des 
englischen Geldmarktes Alles das werde ertragen können, was man ihr im letzten 
Jahre zugemuthet hat. Consols am 31. Dec. 1862 zu 92½ schlossen am gleichen 
Tage 1863 zu 91. 
Die Pariser Börse machte wie immer so auch im Jahre 1863 
Sprünge, die sich durch die politischen und finanziellen Ereignisse geradezu nicht 
erklären lassen. Sie schien eine Zeitlang dem Credit Mobilier, der sich in seinem 
Jahresbericht förmlich den Vertreter des Kaiserreichs auf finanziellem Gebiete genannt 
hatte, ganz willenlos hingegeben zu sein und hat diese Hingabe an die große Finanz- 
gesellschaft theuer bezahlen müssen. Von einem geregelten gesunden Geschäft war im 
Grunde während des ganzen Jahres keine Rede. Bald die jäheste, durch nichts mo- 
tivirte Hausse, bald widerstandslose, unaufhaltsame Baisse, so ging es das ganze Jahr 
hindurch. Gleich zu Anfange desselben wurde die Rente auf 71, Mobilier auf 1200, 
spanischer Mobilier auf 900 Fr. geschnellt, ohne daß irgend ein nur erwähnenswerthes 
Ereigniß eingetreten wäre. Die ganze Hausse beruhte auf den Gerüchten, welche der 
Mobilier über seine günstige Bilanz und über die von ihm erlangte Concession der 
türkischen Bank verbreiten ließ. Aber schon am 15. Januar war es mit der rasch 
aufgeschossenen Treibhauspflanze zu Ende. Der Bankausweis hatte eine Abnahme des 
Baarvorraths um 51 Mill. constatirt, die Bank mußte ihren Disconto von 4 auf 
5 pECt. erhöhen und wenige Tage nachher kamen die ersten Nachrichten über die pol- 
nische Insurrection. Die Rente sank in wenigen Tagen auf 69, die beiden Mobi- 
liers um 100 Frcs. und mehr. Die schon auf den vorhergegangenen October mit 
Zuversicht angekündigte Einnahme Puebla's wollte immer nicht kommen, die preußisch- 
russische Convention vom 8. Febr. veranlaßte die französische Regierung zu einer 
drohenden Haltung und die einmal scheu gewordene Börse wollte sich nicht sobald 
wieder beruhigen. Da mußte Anfangs März die große Finanzmacht des Hauses 
Rothschild dem jüngeren Nebenbuhler, dem Mobilier der Pereire, aus der Klemme 
helfen. Das Haus Rothschild übernahm die italienische Anleihe von 500 Mill. zum 
Theil fest, zum Theil als Commissionär. Nun gingen seine Interessen mit denen 
das Credit Mobilier vorübergehend Hand in Hand; noch einige Tage vor der 
Emission der Anleihe (12. März) mußte der Disconto auf 41, am 27. März 
auf 4 péEt. herabgesetzt werden. Wider Erwarten fand die italienische Anleihe gute 
Aufnahme und behauptete sich sogar mitten unter den Stürmen, die das ganze Jahr 
hindurch tobten, durch die mächtige Patronage der Rothschild'schen Häuser. Wie weit 
sich dieser Einfluß erstreckt, läßt sich an einer bezeichnenden Ziffer anschaulich machen. 
Im Januar 1863 stand österreichische Nationalanleihe 1 pCt. höher als italienische 
Rente. Nun hat Oesterreich im J. 1863 die Börse nicht weiter in Anspruch ge- 
nommen, als mit der Enission eines früheren Anlehensrestes, Italien dagegen hat 
die colossale Summe von 500 Mill. auf den Markt geworfen; die politischen Ver- 
hältnisse waren für das eine Land nicht bedrohlicher als für das andere, dennoch er-
	        
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