366 Uebersicht der Ereignisse des Jahres 1863.
Rußland. Bevölkerung wählte, eingeführt, umsonst dem polnischen Unterrichtswesen
größere Sorgfalt zugewendet, namentlich die Universität Warschau vervoll-
ständigt und erweitert. Die öffentliche Meinung des Landes machte keine
Miene, dem russischen Gouvernement und seinen Intentionen entgegen
zu kommen. Die Masse der ländlichen Bevölkerung blieb gleichgülkg, der
Adel aber und die städtische Bevölkerung verlangten nicht blos administrative,
sondern politische Autonomie und der passive Widerstand, der sich nament-
lich in Warschau zu bethätigen suchte, fand eine mächtige Stütze an der
katholischen Kirche. Zwar gelang es der russischen Regierung zu Anfang
des Jahres 1862, den erzbischöflichen Stuhl von Warschau nach ihrem
Wunsche besetzt zu sehen und der neue Erzibischof Felinski suchte einige
Zeit in der That eine vermittelnde Stellung einzunehmen; allein auch er
vermochte sich darin nicht zu behaupten und sah sich bald von der allge-
meinen Strömung fortgerissen. Zu Ende des Jahres 1862 war die
Stimmung offenbar zu einem Ausbruche reif. Die geheimen revolutio-
nären Comité's warteten nur auf den geeigneten Moment, um die Bewe-
gung aus dem passiven Widerstand zu einem activen Schlage hinüber-
führen zu können und die Regierung ihrerseits suchte nach einem geeig-
neten Mittel, um die revolutionären Elemente, welche die Gährung der
Massen unterhielten und nicht zur Ruhe kommen ließen, wo möglich auf
einmal zu beseitigen. Die vom Kaiser schon im September 1862 für
das ganze Reich nach langer Zeit wieder angeordnete Recrutirung schien
der Regierung die gesuchte günstige Gelegenheit zu bieten, schlug jedoch
ins Gegentheil um und arbeitete gerade der revolutionären Partei für ihre
Zwecke in die Hinde. Nachdem die Regierung ihre Vorbereitungen getroffen,
wurde in Warschau am 14. Jan. Nachts zu jener Rekrutirung geschritten.
Sie erfolgte nicht nach irgend welchen gesetzlichen Kategorien, sondern ab-
solut willkührlich: wer immer beschäftigungslos in der Stadt verweilte oder
irgendwie der Bewegung Vorschub zu leisten schien, oder sonst der Regie-
rung verdächtig sein mochte, sollte ergriffen, ins Militär gesteckt und so
unschädlich gemacht werden. Immerhin hatten die Vorbereitungen nicht
so geheim gehalten werden können, daß nicht viele von dem ihnen bevor-
stehenden Schicksal unterrichtet worden wären. Zahlreiche Schaaren ver-
ließen die Stadt schon an den vorhergehenden Tagen und in der verhäng-
nißvollen Nacht. In dieser drang das Militär in die Häuser ein, ergriff
diejenigen, die für den Zweck geeignet schienen und führte sie ab: ein ge-
waltiger Jammer herrschte in der ganzen Stadt. Diese Stimmung be-