Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierter Jahrgang. 1863. (4)

Uebersicht der Ertignisse des Fahres 1863. 271 
ganz überwältigender Mehrheit verwerfen werde. Die Entscheidung ver-Preußen. 
zögerte sich jedoch. Kaum war der Landtag zusammengetreten, so brach 
die Insurrection in Polen aus und bald genug kam das Abgeordnetenhaus 
in die Lage, sich auch mit dieser Frage zu beschäftigen, die für Preußen 
allerdings schon wegen Posen von besonderer Bedeutung war. Da indeß 
die Leiter der Polen klug genug waren, zu erkennen, daß es weit über 
ihre Kräfte ginge, es zugleich nicht bloß mit Rußland, sondern auch mit 
Preußen und Oesterreich aufzunehmen, so erfolgte weder in Posen noch 
in Galizien irgend ein Versuch von Widerstand gegen die österreichische 
oder preußische Regierung. Eine verhältnißmäßige Ueberwachung der 
Grenze war daher alles, was durch die Sachlage selbst diesen Regierun- 
gen obzuliegen schien. Oesterreich begnügte sich auch damit, allein nicht 
ebenso Preußen. Die polnische Insurrection, deren Tragweite vorerst noch X 
nicht zu ermessen war, schien Hrn. v. Bismarck möglicher Weise diejenige 
Verwickelung darzubieten, deren er zu bedürfen glaubte. Schon am 31. Ja- 
nuar wurden die 4 östlichen Armeecorps zu einer Armee unter dem Ober- 
befehl des Generals v. Werder vereinigt und am folgenden Tage General 
v. Alvensleben und Flügeladjutant v. Rauch nach St. Petersburg und 
Warschau gesandt, durch welche am 8. Februar zwischen Preußen und K9 
Rußland eine Convention behufs Unterdrückung der polnischen Insurrec- 
tion vorläufig abgeschlossen wurde. Die Bestimmungen dieser Convention 
blieben geheim; allein schon was davon bekannt wurde, war genügend, 
das Abgeordnetenhauc zu veranlassen, sich über die Lage auszusprechen, 
und dasselbe entsprach in der That nur der öffentlichen Meinung, wie sie 
sofort in Preußen überall zu Tage getreten war, wenn es am 28. Febr. 
nach dreitägiger heftiger Debatte mit überwältigender Mehrheit die Erklärung 
beschloß: „das Interesse Preußens erfordere, daß die kgl. Staatsregierung 
„gegenüber dem im Königreich Polen ausgebrochenen Aufstande keinem der 
„kämpfenden Theile irgend eine Unterstützung oder Begünstigung zuwende, 
„noch auch Bewaffunesten gestatte, das preußische Gebiet ohne gleichzeitige 
„Entwaffnung zu betreten.“ Hr. v. Bismarck, der die Möglichkeit einer 
Vergrößerung Preußens nach dieser Seite hin und im Einrerständnisse 
mit Rußland vorauszusehen meinte, wäre über die Opposition des Abge- 
ordnetenhauses ohne Zweifel leicht hinweggegangen. Allein die öffentliche 
Meinung Europa's und der Kaiser der Franzosen nöthigten ihn bald, 
seine Plane fallen und die russische Convention zu einem „todten Buch- 
staben“" werden zu lassen. 
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