Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierter Jahrgang. 1863. (4)

372 eberstcht der Ereignisse des Hahres 1863. 
Rußland. Wohl legte die öffentliche Meinung Europa's alsbald ihre Theil- 
nahme für die unglücklichen Polen an den Tag. Aber selbst sie schien 
nur geringe Hoffnung zu nähren, daß den Polen dießmal gelingen werde, 
was ihnen 30 Jahre früher unter viel günstigeren Umständen mißlungen 
war, und die Regierungen waren offenbar ganz und gar nicht geneigt, 
die Polen in ihrem Versuche zu unterstützen. Selbst diejenige Frankreichs 
lehnte, wie schon erwähnt, im gesetzgebenden Körper eine derartige Zu- 
muthung entschieden ab. Die Nachricht vom Abschluß der Convention 
zwischen Rußland und Preußen führte indeß sofort eine Wendung herbei. 
Napoleon erklärte, daß durch diese Convention die Frage zu einer euro- 
päischen gemacht worden sei und schlug demgemäß dem englischen Cabinet 
einen gemeinsamen Schritt jedoch nicht gegen Nußland, sondern gegen 
Preußen vor. Die Wendung war zu auffallend, um nicht politische Hinter- 
gedanken vermuthen zu machen. Die englische Regierung lehnte ihre Be- 
theiligung ab und zog es vor, sich zuerst allein an Rußland zu wenden, 
um es an seine tractatmäßigen Verpflichtungen gegen Polen zu erinnern 
und ein gutes Wort für dieselben einzulegen, während es zugleich die 
sämmtlichen Mächte, welche die Wiener Congreßacte unterzeichnet hatten, 
aufforderte, seinen Schritt beim Cabinet von St. Petersburg zu unter- 
stützen. Zu gleicher Zeit trat es mit Frankreich und alsbald auch mit 
Oesterreich in nähere Verbindung und alle drei verständigten sich dahin, 
in übereinstimmendem Sinne und gewissermaßen solidarisch ihre Ver- 
wendung für Polen in St. Petersburg eintreten zu lassen. Am 10. und 
12. April richteten alle drei Mächte dießfällige Depeschen an ihre Ver- 
treter am russischen Hofe, die von diesen an einem und demselben Tage 
und in derselben Stunde mit einem völlig gleichlautenden Begleitschreiben 
an den Fürsten Gortschakoff überreicht wurden. England stützte sich in 
seiner Depesche vornehmlich auf die Wiener Congreßacte, die das jetzige 
Königreich Polen nur unter gewissen Bedingungen mit Rußland vereinigt 
habe und erklärte, daß Rußland diese Bedingungen nicht erfüllt habe und 
daß seine Ausrede, Polen habe seine allfälligen Ansprüche durch den Auf- 
stand von 1830 verwirkt, von der englischen Regierung als stichhaltig nicht 
anerkannt werden könne; übrigens liege es Rußland, selbst abgesehen von 
Vertragsverpflichtungen, in seinem eigenen Interesse und mit Rücksicht auf 
die ernste Aufregung, die durch die sich immer wiederholenden Versuche Polens 
in den Gemüthern der andern Länder Europa's hervorgerufen würde, ob, 
diese Angelegenheiten endlich und „in einer solchen Weise zu ordnen, daß
	        
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