Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierter Jahrgang. 1863. (4)

402 Uebersicht der Ereignisse des Jahres 1863. 
Deutsch- Der Moment fand indeß Deutschland nicht in der Lage, mit der- 
land. jenigen Einmüthigkeit, derjenigen Entschlossenheit des Willens, derjenigen 
Energie der That aufzutreten, wie er einer großen Nation ziemt, die nur 
ihr unzweifelhaftes Recht wahrt. 
Noch war die Bundesreformfrage ungelöst, noch war selbst der 
Fortbestand des Zollvereins nicht gesichert, noch lag die Wertretung der 
höchsten nationalen Interessen Deutschlands in den Händen des Bundes- 
tags, über den das conservative Oesterreich so eben ein wahrhaft ver- 
nichtendes Urtheil offen vor aller Welt ausgesprochen hatte. Am 1. Sept. 
war der Fürstencongreß auseinandergegangen und bald lag es unzweifelhaft 
vor, daß sein Werk so wenig als ein lebensfähiges sich bewähren würde, 
wie die ganze Reihe der ihm vorangegangenen Versuche. Am 15. des- 
selben Monats erstattete das pteußische Staatsministerium dem Könige 
seinen Bericht über die aus dem Fürstencongreß hervorgegangene Neform- 
acte vom Standpunkte der preußischen Interessen aus. Sein Schluß ging 
dahin, daß das Werk für Preußen nicht annehmbar fei. Ein Veto Oester- 
reichs und Preußens für den Fall eines nicht durch einen Angriff auf 
das Bundesgebiet veranlaßten. Bundeskriegs — formelle Gleichstellung 
Preußens mit Oesterreich in der Leitung der Bundesangelegenheiten — 
Schaffung ciner aus directen Wahlen nach dem Maßstab der Bevölkerung 
hervorgehenden Vertretung: das waren die Anforderungen, welche Preußen 
der Reformacte gegenüberstellte, ohne sich vor Erlangung dieser Zuge- 
ständnisse auf eine Verhandlung über dieselbe einlassen zu wollen. „Die 
„Gemeinsamkeit — so meinte die preußische Staatsschrift — ist um so 
„schwerer herzustellen und festzuhalten, als weder Preußen noch Oester- 
greich der Freiheit vollständig entsagen können, ihre Stellung zu den Fra- 
agen europäischer Politik nach den Interessen der Gesammtheit ihrer Mo- 
„narchieen zu regeln. Der vorliegende Entwurf löst diese Schwierigkeit 
„durch den einfachen Mechanismus einer Mehrheitsabstimmung im Schooße 
„des Directoriums und durch eine Erweiterung des Bundeszwecks bis 
„zu dem Maaße, daß die Politik jeder dieser beiden Mächte in der durch 
„das Centralorgan des Bundes zu bestimmenden Gesammtpolitik des letz- 
„teren aufzugehen habe. In der Theerie ist diese Lösung eine leichte, in 
oder Praxis ist ihre Durchführung unmöglich und trägt den Keim der 
„Voraussetzung in sich, daß das neue Bundesverhältniß in vergleichungs- 
„weise kürzerer Zeit als das alte, um uns der Worte des kais. österr. 
„Promemoria zu bedienen, den Eindruck von Resten einer wankend ge-
	        
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