Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierter Jahrgang. 1863. (4)

Uebersicht der Ertignisse des Lahres 1863. 407 
widerstehen. Der deutsche Bund als solcher trat dem Vertrage zwar nicht Däg= 
bei; aber, wie die Dinge damals und noch lange lagen, konnte darin 
nur ein sehr zweifelhafter Trost erkannt werden: dieser schwerfällige und 
der Sache der Herzogthümer überdieß nicht allzu geneigte Organismus 
war zumal bei der von seinen einflußreichsten und mächtigsten Gliedern 
eingenommenen Stellung nicht in der Lage, den Herzogthümern einen ir- 
gendwie energischen und wirksamen Schutz in Aussicht zu stellen. Der 
Londoner Vertrag war freilich ein durchaus willkürlicher Act, der an die 
Stelle des bisher in Europa anerkannten fürstlichen Erbrechts die reine 
Convenienz der fünf Großmächte setzte und damit ein für sämmtliche un- 
abhängige Staaten höchst gefährliches Princip einführte; allein die fünf 
Großmächte hatten nun einmal gesprochen und Deutschland schien sich 
unter der Leitung seiner beiden Großmächte dem Spruche wenn auch mit 
einigem Widerstreben sügen zu wollen. Die Herzogthümer waren voll- 
kommen verlassen, ganz Europa schien gegen sie, niemand war für sie und 
wenn die Dänen selbst ihrer Sache sich trotz alledem nicht so ganz sicher 
fühlten, so waren sie nur um so mehr entschlossen, die Frist, die ihnen 
vergönnt sein mochte, zu benützen. 
Zunächst dachten sie keinen Augenblick daran, die mit Deutschland 
eingegangene Verpflichtung wirklich zu halten. Ihr ganzes Sinnen und 
Trachten ging vielmehr von Anfang an dahin, sich derselben auf jede Weise 
und durch jedes Mittel zu entziehen, selbst die provinzielle Selbständigkeit 
Holsteins zu untergraben und namentlich die Einverleibung Schleswigs 
in das eigentliche Dänemark vorzubereiten, bis entweder Deutschland er- 
müdet es freiwillig geschehen lasse oder die Umstände es erlaubten, sie trotz 
Deutschland zu einer vollendeten Thatsache zu machen. Der Augenblick 
dazu schien endlich gekommen. Eine Tyrannei ohne Gleichen schien wäh- 
rend eines Zeitraums von 12 Jahren die eine Hälfte Schleswigs dani- 
sirt, die andere mürbe gemacht oder doch gebrochen und zu fernerem 
Widerstand ohnmächtig gemacht zu haben. Eine neue gemeinsame Verfassung 
für Dänemark-Schleswig wurde dem Reichsrathe, aus dem die Holsteiner 
ausgeschieden waren und an dem die deutschen Schleswiger keinen Theil 
nahmen, vorgelegt und am 15. Nov. mit dem Zusatze genehmigt, daß sie 
schon am 1. Januar 1864 in Kraft treten sollte. Da der deutsche Bund 
bereits wegen Holstein Execution angedroht hatte, so schien Dänemark 
nichts anderes übrig zu bleiben, als entweder zurück oder weiter auf der 
einmal betretenen Bahn vorwärts zu gehn. Es wählte das letztere und
	        
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