Dentschland. 39
druck der Zuversicht, der in unserer Erklärung vom 4. September 1860 nieder-
gelegt ist: Deutschland werde willig dem Oberhaupt des mächtigsten deutschen
Staats die politische und militärische Leitung anvertrauen, wenn diese Macht
durch energische Vertretung aller nationalen Interessen sich fähig erweise,
ihren geschichtlichen Beruf thatkräftig zu erfüllen. Und was ist seither
geschehen? Schritt für Schritt ist die preußische Regierung von ihrer Auf-
gabe weiter zurückgewichen, bis zu dem Punkt, auf dem wir sie heute er-
blicken: nicht als den Schirmherrn, sondern als den gefährlichsten Widersacher
der nationalen Interessen. Heute wie im Frühjahr 1859 bedroht uns Kriegs-
gefahr; aber die Aufrufe, die damals Preußen zur Leitung beriefen, erneuern
sich nicht — sie klingen wie ein bitterer Hohn auf die Gegenwart. Heute
wie im Herbst 1860 ist es die gleiche Gesinnung, die den Nationalverein
beherrscht; wenn aber Diejenigen, die jetzt an der Spitze des
preußischen Staates, vom eigenen Volke verurtheilt, am
Ruin der preußischen Staatsmacht arbeiten, vollends nach
der Leitung Deutschlands greifen wollten, so würden sie in
der ersten Reihe der Kämpfer gegen eine solche Vermessen-
heit dem Nationalverein begegnen.
„Doch das Unheil, das über Preußen und dadurch über Deutschland ge-
kommen ist, darf weder unsere Hoffnung entmuthigen, noch unsere Thätigkeit
lähmen. Die Bestrebungen des Vereins sind nicht auf augenblicklichen Erfolg
gerichtet, sie sind deshalb unabhängig von der augenblicklichen Gestaltung der
Dinge. Sein Ziel ist unverrückt dasselbe geblieben — die politische Einheit
Deutschlands — und nur die Wege zum Ziel sind verdunkelt. Je mehr durch
eine furchtbar verblendete Regierungspolitik die innere Freiheit und die äußere
Sicherheit Deutschlands bedroht ist, um so lebendiger wird im Volk das
Bewußtsein der eigenen Pflicht und der eigenen Kraft, sich die Bürg-
schaften einer besseren Zukunft zu erringen. Darum sehen wir, daß keine
Ungunst des Augenblicks das fortschreitende Wachsthum unseres Vereins zu
hindern vermag, daß die in der Reichsverfassung verkörperte Idee der
nationalen Neugestaltung immer tiefere Wurzel schlägt, daß der Ruf nach
Wiederherstellung des nationalen Parlaments sogar in den Lagern unserer
Gegner nachzuhallen beginnt. Dies sind Erfolge, die uns mit Zuversicht er-
füllen, zur Beharrlichkeit und verdoppelten Energie ermuthigen müssen. Gehen
wir voran in festgeschlossenen Reihen — es gilt der Freiheit und der Größe
des Vaterlands!“
27. Mai. (Lippe). Die Regierung verbietet die Bildung einer Fort-
schrittspartei.
28. „ (Kurhessen). Die Ständeversammlung verwirft den Re-
gierungsvorschlag bezüglich Handhabung der Dienstordnung im
Staatsdienste.
30. „ (Sachsen). Der am 25. April in Leipzig gegründete Fort-
schrittsverein für ganz Sachsen, der in der deutschen Frage auf
dem Boden der Reichsverfassung stehen und im Innern eine energische
und consequent vorwärtsgehende Reformpartei herstellen will, er-
läßt einen Aufruf an alle Freunde des Fortschritts in Sachsen:
„Das sächsische Volk entbehrt seit nun länger als zwölf Jahren die wich-
tigsten der vorher auf verfassungsmäßigem Wege erlangten oder feierlich ihm
verheißenen Rechte und Freiheiten. Fast alle andern deutschen Staaten er-
freuen sich entweder bereits einer Freiheit, welche das öffentliche Leben in
ihnen befriedigt und beglückt, oder sind in der friedlich und kräftig wachsen-
den Entwicklung und dauernden Begründung dieses hohen Gutes, welches
durch materielles Wohlergehen niemals aufgewagen werden kann, begriffen.