Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierter Jahrgang. 1863. (4)

 
Deutschland. 51 
verträge geben Preußen ein Recht des Widerspruchs gegen jede tiefer greifende 
Neuerung. Preußens Wille kann daher die Reform der Ge- 
sammtverfassung Deutschlands factisch und rechtlich hin- 
dern. Um für die reine Negation in Deutschland das Feld zu behaupten, 
bedarf es nicht einmal der Größe und einflußreichen Stellung der preußischen 
Monarchie, selbst mindermächtige Staaten vermögen durch ihre bloße Ent- 
haltung die sehnlichsten Wünsche, die lautersten Bestrebungen ihrer Bundes- 
genossen zu vereiteln. Preußens Veto hat jedenfalls diese verneinende Kraft. 
Wird es eingelegt, so kann sich der Bund in seiner Gesammtheit nicht aus 
seinem gegenwärtigen tiefen Verfalle erheben. Aber die Dinge sind in Deutsch- 
land so weit gediehen, daß ein absoluter Stillstand der Reform- 
bewegung nicht mehr möglich ist, und die Regierungen, welche dies 
erkennen, werden sich zuletzt gezwungen sehen, die Hand an ein Werk der 
Noth zu legen, indem sie sich zur partiellen Ausführung der be- 
absichtigten Bundesreform im Bereiche der eigenen Staaten entschließen, und 
zu diesem Zwecke unter Wahrung des Bundesverhältnisses ihrem freien 
Bündnißrechte die möglichst ausgedehnte Anwendung geben. 
    „Kann Preußen einer Eventualität entgegenzusehen wünschen, die eine so 
gänzliche Entfremdung von seinen deutschen Bundesgenossen in sich schließen 
würde? Es ist wahr, die Anschauungen Preußens über Beruf und Bestim- 
mung des deutschen Bundes haben sich in den letzten Jahren nur zu sehr 
von denjenigen, welche oben dargelegt wurden, unterschieden. Wir blicken 
in eine Zeit zurück, in welcher nicht Kräftigung und Belebung des Bundes- 
princips, sondern dessen Zurückführung auf die Bedeutung eines bloßen — 
an sich unvollkommenen — Allianzverhältnisses als der leitende Gedanke der 
deutschen Politik Preußens hingestellt wurde. Allein die Ereignisse sind seit- 
dem fortgeschritten, und vielleicht enthält ihr Gang für Preußen mehr als 
Einen ernsten Beweggrund, sich entschieden von Richtungen abzuwenden, 
welche zu keinem glücklichen Ziele geführt haben. Die Zukunft Deutschlands 
ist in ein gefährliches Dunkel gehüllt, durch Erinnerungen an die Vergangen- 
heit hat der Kaiser Sich daher nicht abhalten lassen wollen, Seine Ansichten 
über die Mittel, den Blick in diese Zukunft aufzuhellen, vertrauensvoll 
Seinem erhabenen Verbündeten von Preußen mitzutheilen. Er zählt auf 
die Weisheit und die Gesinnungsgröße des Königs, dem unmöglich entgehen 
kann, wie ganz anders geachtet und gesichert Deuischland seinen Platz unter 
den Völkern einnehmen, in wie hohem Grade sein Einfluß und seine Macht- 
stellung sich steigern würden, wenn die Verfassung des Bundes in erneuter 
und den Anforderungen der Zeit entsprechender Gestalt aus einer gemein- 
samen Berathung und einem einmüthigen Beschlusse aller deutschen Fürsten 
hervorginge. Welche Erfahrungen auch die Folgezeit uns vorbehalten möge, 
dem Kaiser wird es stets zur Beruhigung gereichen, gegenüber dem Könige 
ausgesprochen zu haben, daß es heute von Preußens Entschließungen ab- 
hänge, den deutschen Bund wieder auf die Höhe seiner für die Nation und 
ihre Fürsten wie für Europa's Frieden so unendlich wichtigen Bestimmung 
zu heben.“  
3. Aug. (Fürstencongreß). Die vom 31. Juli datirten Einladungs- 
schreiben Oesterreichs zu einem Congreß auf den 16. August in 
Frankfurt gehen an sämmtliche deutsche Fürsten ab. 
„   „   Großartiges allg. deutsches Turnfest in Leipzig. 
„   „  Congreß von Abgeordneten aller deutschen und österr. Eisenbahnen 
in Salzburg. 
„   „  (Baden). Evangelische Landesconferenz in Durlach. Dieselbe 
erklärt sich für Trennung der Schule von der Kirche und stimmt der 
Anregung Schenkels zur Gründung eines deutschen Kirchentages bei. 
 
 

	        
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