Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierter Jahrgang. 1863. (4)

Deutschland. 77 
halten mögen, die nöthige Festigkeit nimmermehr zurückgeben könnte. Um 
einer beklagenswerthen Eventualität vorzubeugen, erscheint es uns un- 
erläßlich, daß der Bund durch eigene Action in die Be- 
ziehungen der europäischen Politik nur mit dem Einverständ- 
nisse der beiden Großmächte eingreife, und daß jeder der 
beiden letzteren ein Veto mindestens gegen Kriegserklärungen, 
so lange nicht das Bundesgebiet angegriffen ist, zustehe. 
       „Dieses Veto ist für die Sicherheit Deutschlands selbst unentbehrlich. Ohne 
dasselbe würde je nach den Umständen die eine oder die andere der beiden 
Großmächte in die Lage kommen, sich der anderen, durch eine Majorität we- 
niger Stimmen verstärkten — ja selbst mit der anderen zusammen, sich der 
Majorität dieser Stimmen unterwerfen zu sollen — und doch der Natur der 
Dinge nach und ihrer eigenen Existenz halber sich nicht unterwerfen zu können. 
Man kann sich einen solchen Zustand auf die Dauer nicht als möglich den- 
ken. Es können Institutionen weder haltbar sein, noch jemals werden, welche 
das Unmögliche von Preußen oder von Oesterreich fordernd — nämlich sich 
fremden Interessen dienstbar zu machen —, den Keim der Spaltung unver- 
kennbar in sich tragen. Nicht auf der gezwungenen, oder geforderten und 
doch nicht zu erzwingenden Unterordnung der einen Macht unter die andere, 
sondern auf ihrer Einigkeit beruht die Kraft und die Sicherheit Deutschlands. 
Jeder Versuch, eine große politische Maßregel gegen den Willen der einen 
oder der andern durchzusetzen, wird nur sofort die Macht der realen Verhält- 
nisse und Gegensätze zur Wirksamkeit hervorrufen. Es wäre eine verhäng- 
nißvolle Selbsttäuschung, wenn Preußen sich zu Gunsten einer scheinbaren 
Einheit Beschränkungen seiner Selbstbestimmung im Voraus auflegen wollte, 
welche es im gegebenen Falle thatsächlich zu ertragen nicht im Stande wäre. 
Der Anspruch jeder der beiden Großmächte auf ein derartiges Veto ist um 
so weniger ein unbilliger zu nennen, als die Berechtigung, eine Kriegser- 
klärung zu hindern, verfassungsmäßig jeder Minorität beiwohnt, welche ⅓ der 
Stimmen auch nur um 1 übersteigt (Art. 40 d. W. Sch.-A.), ein solches 
Drittheil aber, sobald ihm keine der beiden Großmächte angehört, niemals 
eine Bevölkerung repräsentiren kann, welche der der preußischen oder der 
österreichischen Bundesländer gleichkäme. Die 4 Königreiche, Baden und beide 
Hessen bilden zusammen das an Volkszahl stärkste Drittheil der Plenarstim- 
men, welche sich ohne Betheiligung einer der Großmächte combiniren läßt; 
sie haben zusammen 12,916,000 Einwohner und 25 Stimmen im Plenum, 
also 3 über ⅓. Es bestehen 23 Stimmen im Plenum, welche zusammen nur 
2,400,000 Einwohner ihrer Staaten vertreten, und jeder Kriegserklärung ihr 
gemeinsames Veto entgegensetzen können. Um wie viel mehr hat Preußen, 
mit einer Bevölkerung von 14,5 Millionen im Bunde, auf dasselbe Recht An- 
spruch. . . .  Indem wir Ew. Maj. die Parität Preußens mit Oesterreich 
und die Beilegung eines Veto in den oben bezeichneten Grenzen als unseres 
allerunterthänigsten Dafürhaltens nothwendige Vorbedingungen der Zustim- 
mung zu einer Erweiterung des Bundeszweckes und der Competenz der 
Bundes-Central-Behörde bezeichnen, verkennen wir nicht, daß damit die Auf- 
gabe einer Vermittlung der divergirenden dynastischen Interessen behufs Er- 
leichterung der einheitlichen Action des Bundes nicht gelöst wird. Den Streit 
derselben durch die Majoritätsabstimmungen der im Directorium vertretenen Re- 
gierungen kurzer Hand zu entscheiden, scheint uns weder gerecht noch politisch 
annehmbar. Das Element, welches berufen ist, die Sonderinteressen der ein- 
zelnen Staaten im Interesse der Gesammtheit Deutschlands zur Einheit zu 
vermitteln, wird wesentlich nur in der Vertretung der deutschen Nation ge- 
funden werden können. Um die Institution der letzteren in diesem Sinne 
zu einer fruchtbringenden zu machen, wird es nothwendig sein, sie mit ent- 
sprechenderen Attributionen auszustatten, als dies nach dem Frankfurter Ent- 
wurf der Fall sein soll und ihre Zusammensetzung so zu regeln, daß die Be-
	        
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