100 Preußen und der norddeutsche Bund.
haben auch mit der Neugestaltung unseres gemeinsamen deutschen Vaterlandes
in einer, die gerechten nationalen Ansprüche befriedigenden Weise zu be-
ginnen. — Der alte Rechtsboden, auf dem wir hätten fortbauen können, ist
zusammengebrochen. — Wir müssen nun die Vervollkommnung des durch
die Macht der Thatsachen geschaffenen neuen Rechtszustandes zum Gegenstand
unserer Sorge machen. — Mein eifriger Wunsch war, den Bund, welcher
dermalen den Norden Deutschlands umfaßt, auf das ganze große Vaterland
ausgedehnt zu sehen. — Rücksichten, deren Beseitigung nicht in meiner Macht
lagen, standen bis jetzt der Erfüllung meines Wunsches entgegen. — Aber
wie ich stets seit meinem Regierungs-Antritt neben dem Wohle meines
hessischen Landes, das Glück und die Größe des gemeinsamen deutschen Vater-
landes, und die Krästigung des dasselbe umschlingenden Bandes angestrebt
habe, — so werde ich auch für die Zukunft dieses Ziel nicht aus den Augen
verlieren. — Ich rechne dabei aus das Vertrauen und die Unterstützung
meines guten und bewährten Volkes.“ In Folge des Friedens-Abschlusses
zwischen Preußen und Hessen vom 3. September v. J. trat — wie bekannt,
— der Großherzog von Hessen mit der Provinz Oberhessen dem norddeutschen
Bunde bei, während die beiden anderen Provinzen des Landes außerhalb
dieses Verhältnisses blieben. Bei Gelegenheit der Discussion, resp. Annahme
des preußisch-hessischen Friedensvertrages in der Zweiten Kammer zu Darm-
stadt, — im Januar d. J., — wurde von zwei Abgeordneten beantragt:
gleichzeitig die feste Erwartung auszusprechen: die großherzogliche Staats-
Regierung werde mit allen Kräften dahin streben, auch mit den von dem
norddeutschen Bund bis jetzt noch ausgeschlossenen Gebietstheilen möglichst
bald in denselben einzutreten. Die Kammer beschloß, Berathung und Be-
schlußfassung üder diesen Antrag wegen mangelnder genügender Information
bis nach erfolgter definitiver Constituirung des norddeutschen Bundes auszu-
setzen. Diese definitive Constituirung steht durch Publication der Verfassung
in der nächsten Zeit mit Sicherheit zu erwarten. Ist dann das ganze Groß-
herzogthum Hessen dem norddeutschen Bunde nicht beigetreten, — oder ist
nicht wenigstens sein Beitritt in sichere Aussicht gestellt, — so wird das Land
in zwei Theile zerrissen. Daraus werden schwere Schädigungen der na-
tionalen, — der dynastischen — und der besonderen Interessen des Groß-
herzogthums entstehen. Welche Gründe auch früher bestanden haben mögen,
den Beitritt von ganz Hessen zum norddeutschen Bunde zu beanstanden, so
scheint uns doch jetzt die Zeit gekommen zu sein, wo Deutschland genügend
gekräftigt ist, um seine inneren Angelegenheiten ohne fremden Rath seinen
eigenen Interessen entsprechend zu ordnen, — und dabei einzig und allein
sein eigenes Wohl zum Ausgangspunkt seiner Entschließungen zu nehmen.
Auf Grund vorstehender Andeutungen erlauben sich die unterzeichneten ober-
hessischen Abgeordneten an den Herrn Versitzenden der Bundes-Commissarien
die ergebenste Anfrage: 1) ob, — und erentuell welche Hindernisse dem un-
getrennten Eintritt des ganzen Großherzogthums Hessen in den norddeutschen
Bund zur Zeit entgegen stehen? 2) eventuell, ob diese Hindernisse dauernde,
oder vorübergehender Natur sind?“
Begründung der Interpellation durch den Abg. Grafen zu
Solms-Laubach: „Wir haben die Ihnen bekannte Interpellation gestellt,
meine Herren, um zu constatiren, ob die Hindernisse, welche seither dem Ein-
tritte des ganzen Großherzogthums Hessen in den norddeutschen Bund ent-
gegenstanden, noch bestehen oder nicht. Im letzteren Falle dürfen wir hoffen,
daß bald der Eintritt des ganzen Großherzogthums Hessen in den nord-
deutschen Bund ersolgen wird. Die Erklärungen des Großherzogs von Hessen,
die Sie aus der Interpellation ersehen haben werden, so wie die Worte, die
wir bei der Eröffnung des Reichstages aus königlichem Munde vernommen
aben, lassen uns hoffen, daß der abnorme Zustand, in welchen das Groß=
zogthum Hessen durch den Friedensvertrag vom 3. September gekommen