Preußen und der norddeutsche Bund 101
ist, wird beseitigt werden. Daß dieser Zustand ein abnormer ist, will ich
mit wenigen Worten nachzuweisen versuchen. Durch die Artikel des Ver-
fassungs-Entwurfs, welche die Gesetzgebungs-Besugnisse des Bundes be-
stimmen, namentlich durch die Artikel 2 und 32 des Entwurfs werden für
einen unter einer Verfassung vereinigten Staat, wie das Großherzogthum
Hessen, zwei verschiedene Factoren der Gesetzgebung begründet, was mit der
Staats-Einheit doch ganz unwerträglich ist. Sollte der Zollverein in seinem
gegenwärtigen Umfange nicht erhalten werden, vielmehr nach Art. 30 des
Verfassungs-Entwurfs für das Gebiet des norddeutschen Bundes ein für sich
bestehendes Zollsystem eingeführt werden, so würde der abnorme Fall ein-
treten, daß ein Theil des Großherzogthums, ein Theil eines und desselben
Staates gegen den anderen als Ausland behandelt werden müßte. Auch die
Bestimmungen des Bundes-Kriegswesens sind der Art, daß sie den Staat in
zwei Hälften theilen würden. Es ist zwar zu erwarten, daß durch die in
Verhandlung stehende Militär-Convention dieser Mißstand werde beseitigt
werden. Wie soll es aber mit den Matricular-Beiträgen werden? Sollen
die nicht zum norddeulschen Bunde gehörigen Landestheile des Großherzog=
thums Hessen zu diesen Matricular-Beiträgen contribuiren oder soll das nicht
geschehen, so müßte dann für die nördlich des Mains gelegenen Theile des
Großherzogthums Hessen eine besondere Besteuerung eingeführt werden, um
diese in Aussicht stehenden Matricular-Beiträge beizubringen. Schließlich
mache ich noch auf den Art. 70 des Verfassungs-Entwurfs aufmerksam. Die
Bestimmungen desselben sind nur anwendbar auf ein eine Staats-Einheit
bildendes Land, passen aber nicht für eine von den anderen eigenen Landes-
theilen durch eine andere Gesetzgebung abgelrennte Provinz. Aus allen diesen
Gründen müssen wir wünschen, daß diese Unzuträglichkeiten durch die Auf-
nahme des ganzen Großherzogthums in den norddeutschen Bund sobald als
möglich beseitigt werden. Erfolgt diese Aufnahme nicht, so würde nichte
übrig bleiben, als die Einführung einer besonderen Verfassung und Ver-
waltung für die nördlich des Mains belegenen Theile des Großherzogthums.
Daß wir das nicht wünschen können, werden Sie einsehen, meine Herren,
da das, was seit lange mit elnander verwachsen ist, nicht ohne Nachtheil und
Schmerzen getrennt werden kann. Wir haben mit den übrigen Provinzen
des Großherzogthums Hessen Jahre hindurch Freud und Leid getragen und
wünschen auch mit denselben wie seither vereinigt zu bleiben. Wir glauben
auch, daß die Mehrzahl der Bewohner des Großherzogthums Hessen in den
Theilen, die nicht zum norddeutschen Bunde gehören, den Wunsch haben, mit
den übrigen Theilen des Landes vereinigt zu bleiben und selbst die dadurch
allerdings ihnen erwachsenden größeren Lasten gern tragen werden, wenn
dieser Zweck erreicht wird, in der Hoffnung, daß der Beitritt des ganzen
Großherzogthums Hessen zum norddeutschen Bunde die Brücke bilden werde,
die uns mit unseren Stammesbrüdern in Bayern, Würtemberg und Baden
wieder unker eine Verfassung vereinigen werde. Ich kann bei dieser Ver-
anlassung bie Bemerkung nicht unterdrücken, daß die Sehnsucht, daß Deutsch-
land wieder unter eine Verfassung vereinigt werden möge, natürlich in den
süddeutschen Staaten slärker ist, als bei Mn, meine Herren, die Sie dem
preußischen Staate angehören. Der preußische Staat ist durch die glänzenden
Ersolge des vorigen Jahres, durch die Tapferkeit seines Heeres, durch die
energische und intelligente Führung seiner Generale, zu welchen Se. Majestät
der König ja selbst zu rechnen ist, auf eine Stufe der Macht und des An-
sehens gediehen, daß er auch ohne Vereinigung mit den süddeutschen Staaten
eine achtunggebletende Stellung in dem europäischen Staatensystem ein-
nehmen wird. Die süddeutschen Staaten können aber ihren deutschen Beruf
ohne eine Annäherung an den norddeutschen Bund unmöglich erfüllen. Wir
sprechen daher die Hoffnung aus. daß diese Vereinigung in möglichst baldiger
Zukunst Statt finden möge.“