Full text: Europäischer Geschichtskalender. Achter Jahrgang. 1867. (8)

                  Preußen und der norddeutsche Bund 101 
ist, wird beseitigt werden. Daß dieser Zustand ein abnormer ist, will ich 
mit wenigen Worten nachzuweisen versuchen. Durch die Artikel des Ver- 
fassungs-Entwurfs, welche die Gesetzgebungs-Besugnisse des Bundes be- 
stimmen, namentlich durch die Artikel 2 und 32 des Entwurfs werden für 
einen unter einer Verfassung vereinigten Staat, wie das Großherzogthum 
Hessen, zwei verschiedene Factoren der Gesetzgebung begründet, was mit der 
Staats-Einheit doch ganz unwerträglich ist. Sollte der Zollverein in seinem 
gegenwärtigen Umfange nicht erhalten werden, vielmehr nach Art. 30 des 
Verfassungs-Entwurfs für das Gebiet des norddeutschen Bundes ein für sich 
bestehendes Zollsystem eingeführt werden, so würde der abnorme Fall ein- 
treten, daß ein Theil des Großherzogthums, ein Theil eines und desselben 
Staates gegen den anderen als Ausland behandelt werden müßte. Auch die 
Bestimmungen des Bundes-Kriegswesens sind der Art, daß sie den Staat in 
zwei Hälften theilen würden. Es ist zwar zu erwarten, daß durch die in 
Verhandlung stehende Militär-Convention dieser Mißstand werde beseitigt 
werden. Wie soll es aber mit den Matricular-Beiträgen werden? Sollen 
die nicht zum norddeulschen Bunde gehörigen Landestheile des Großherzog= 
thums Hessen zu diesen Matricular-Beiträgen contribuiren oder soll das nicht 
geschehen, so müßte dann für die nördlich des Mains gelegenen Theile des 
Großherzogthums Hessen eine besondere Besteuerung eingeführt werden, um 
diese in Aussicht stehenden Matricular-Beiträge beizubringen. Schließlich 
mache ich noch auf den Art. 70 des Verfassungs-Entwurfs aufmerksam. Die 
Bestimmungen desselben sind nur anwendbar auf ein eine Staats-Einheit 
bildendes Land, passen aber nicht für eine von den anderen eigenen Landes- 
theilen durch eine andere Gesetzgebung abgelrennte Provinz. Aus allen diesen 
Gründen müssen wir wünschen, daß diese Unzuträglichkeiten durch die Auf- 
nahme des ganzen Großherzogthums in den norddeutschen Bund sobald als 
möglich beseitigt werden. Erfolgt diese Aufnahme nicht, so würde nichte 
übrig bleiben, als die Einführung einer besonderen Verfassung und Ver- 
waltung für die nördlich des Mains belegenen Theile des Großherzogthums. 
Daß wir das nicht wünschen können, werden Sie einsehen, meine Herren, 
da das, was seit lange mit elnander verwachsen ist, nicht ohne Nachtheil und 
Schmerzen getrennt werden kann. Wir haben mit den übrigen Provinzen 
des Großherzogthums Hessen Jahre hindurch Freud und Leid getragen und 
wünschen auch mit denselben wie seither vereinigt zu bleiben. Wir glauben 
auch, daß die Mehrzahl der Bewohner des Großherzogthums Hessen in den 
Theilen, die nicht zum norddeutschen Bunde gehören, den Wunsch haben, mit 
den übrigen Theilen des Landes vereinigt zu bleiben und selbst die dadurch 
allerdings ihnen erwachsenden größeren Lasten gern tragen werden, wenn 
dieser Zweck erreicht wird, in der Hoffnung, daß der Beitritt des ganzen 
Großherzogthums Hessen zum norddeutschen Bunde die Brücke bilden werde, 
die uns mit unseren Stammesbrüdern in Bayern, Würtemberg und Baden 
wieder unker eine Verfassung vereinigen werde. Ich kann bei dieser Ver- 
anlassung bie Bemerkung nicht unterdrücken, daß die Sehnsucht, daß Deutsch- 
land wieder unter eine Verfassung vereinigt werden möge, natürlich in den 
süddeutschen Staaten slärker ist, als bei Mn, meine Herren, die Sie dem 
preußischen Staate angehören. Der preußische Staat ist durch die glänzenden 
Ersolge des vorigen Jahres, durch die Tapferkeit seines Heeres, durch die 
energische und intelligente Führung seiner Generale, zu welchen Se. Majestät 
der König ja selbst zu rechnen ist, auf eine Stufe der Macht und des An- 
sehens gediehen, daß er auch ohne Vereinigung mit den süddeutschen Staaten 
eine achtunggebletende Stellung in dem europäischen Staatensystem ein- 
nehmen wird. Die süddeutschen Staaten können aber ihren deutschen Beruf 
ohne eine Annäherung an den norddeutschen Bund unmöglich erfüllen. Wir 
sprechen daher die Hoffnung aus. daß diese Vereinigung in möglichst baldiger 
Zukunst Statt finden möge.“
	        
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