106 Preußen und der norddeutsche Bund.
gerathen und dieser Auslegung nicht einseitig vorgreifen. Im Uebrigen bin
ich auch der Meinung, daß der Unterschied zwischen dem Amendement Migquel=
Lasker und dem Texte des Art. 71 so sehr erheblich in der Praxis nicht ist.
Das Amendement behält dem Präsidium, oder, wie ich zugebe, daß man
richtiger sagen würde, dem Bundesrath, die Initiative vor, und im Bundes-
rathe würde voraussichtlich das Präsidium die Initiative haben. Das Bundes-
präsidium würde unzweifelhaft mit dieser Initiative doch so lange warten,
bis es diejenigen Verhandlungen geführt hat, die in dem Art. 71 vorgesehen
sind, und es sich durch den Verlauf der Verhandlungen überzeugt hat, daß
der Moment eingetreten sei, wo in diesem Sinne vorgegangen werden könne,
ohne daß die Verfrühung eines Moments, der später doch eintritt, mit un-
verhältnißmäßigen Gefahren oder Zerwürfnissen mit den Contrahenten des
Prager Friedens verbunden sei. Aus diesen Gründen werde ich mich ent-
halten, für das Amendement Miquel zu stimmen. Wird es angenommen
werden, so wird an die verbündeten Regierungen ja die Frage herantreten,
ob sie sich zu diesem neuen Text des Verfassungs-Entwurfes bei der definitiven
Beschlußfassung werden bekennen können. Ich glaube nicht, diese Frage von
Hause aus verneinen zu sollen, um deßwillen, weil das Amendement Micquel
eben die Eigenschaft hat, dem Präsidium und dem Bundesrath die Entschlie-
ßung über den Zeitpunkt dennoch vollständig frei zu lassen, und in keiner
Weise verpflichten würde, der Frage früher näher zu treten, als wir mit allen
Elementen, denen wir das Recht einzureden zuerkennen, darüber einig sind.“
Der Antrag Lasker-Miquel wird ohne Zählung als Zusatz zu
Art. 71 des Entwurfs mit Mehrheit angenommen.
15. April. (Norddeutscher Bund). Bismarck erklärt, daß die Ver-
treter der verbündeten Regierungen bereit seien, sich sämmtliche vom
Reichstage im Verfassungs-Entwurfe angebrachten Veränderungen
anzueignen mit Ausnahme von zwei Punkten, der Bewilligung von
Diäten und der Sicherstellung der Heereseinrichtungen. Carlowitz
und Bockum-Dolffs beantragen dagegen:
„Den Entwurf der Verfassung des norddeutschen Bundes, wie derselbe
aus den bisherigen Beschlußfassungen des Reichstags hervorgegangen, seinem
ganzen Inhalte nach ohne weitere Zusätze und Abänderungen anzunehmen.“
Da jedoch gegen den Antrag Widerspruch erhoben wird, tritt der
Reichstag als Schlußberathung nach kurzer Generaldebatte: in die
Specialdiscussion ein und genehmigt sämmtliche Artikel bis Art. 31
in der bisherigen Fassung, Art. 32 (Diäten) dagegen in nament-
licher Abstimmung mit 178 gegen 90 Stimmen auf den Antrag
von Arnim-Heinrichsdorf in der Fassung:
„Die Mitglieder des Reichstags dürfen als solche keine Besoldung oder
Entschädigung beziehen“,
und weiter die Art. 33—57 ohne Veränderung. Debatte über Art. 58
Reichensperger: Weitere Concessionen seien unzulässig, man müsse
unser Volk sehen. — Graf Bismarck: Ich will mich mit dem Verredner
nicht in einen rednerischen Streit einlassen. Sollte er im Rechte bleiben, so
würde ich meinen Platz als Präsident der Bundes-Commissarien und als
Minister, welcher Posten mit biesem Entwurfe in innigster Verbindung steht,
aufgeben und dem Vorredner überlassen, ob er eben so gut zu regieren, wie
zu reden versteht. (Beifall rechts.) — Abg. Waldeck: Einzelne liberale
Concessionen bedeuten nicht Wahrung der Volksrechte; der Entwurf enthält
alle Schwächen und Schattenseiten des alten Bundes, deßhalb bin ich gegen
den Entwurf; wir wollen den Bundesstaat, jedech ohne Schädigung des