156 Preußen und der norddeutsche Bund.
muthen, daß die italienische Regierung bis zu einer gewissen Linie hinsichtlich
des römischen Territoriums zwar nicht auf Zustimmung, aber doch auf Ent-
haltung Frankreichs glaube rechnen zu dürfen. Wir würden geglaubt haben,
indiscret zu sein, wenn wir nicht die Initiative der italienischen Regierung
zu einer Eröffnung, die sie uns zu machen geneigt sein konnte, abgewartet
hätten. Wir haben weder nach Florenz noch nach Paris Fragen über die
Natur der Verhandlungen beider Cabinette gerichtet. Ich habe Ew. seiner
Zeit benachrichtigt, daß ich durch Privatpersonen in sehr vertraulicher Weise
über die Ansicht Preußens bezüglich eines Unternehmens auf Rom sondirt
worden bin, und daß ich denselben erwidert habe, wie für uns kein Grund
vorliege, die gegenwärtige italienische Regierung nicht als eine befreundete zu
betrachten, und daß ich deßhalb über itallenische Angelegenheiken ahne Wissen
derselben nicht unterhandeln könne. Ew. werden daraus ersehen haben, daß
die Unklarheit über unsere Beziehungen zu Italien, in welche die Ersetzung
Ricasolis durch Ratazzi und die ihm folgende Phase der italienischen Politik
uns versetzt hatte, die Regierung des Königs nicht bewogen hat, ihrerseits
die vollkommen loyale Haltung aufzugeben, welche uns durch unsere Tradition
befreundeten Regierungen gegenüber vorgeschrieben ist. Ebensowenig aber
können wir uns von der Pflicht der Vorsicht entbinden, welche der Regierung
des Königs durch ihre Stellung an der Spitze eines großen Bundes auf-
erlegt ist. Der Umschlag von dem innigsten Einverständniß zwrischen Italien
und Frankreich, an welches wir bisher zu glauben veranlaßt waren, zu einer
Spannung zwischen beiden Mächten, welche es möglich machte, einen Bruch
zwischen ihnen als wahrscheinlich anzusehen, war ein zu plötzlicher, als daß
wir berechtigt gewesen wären, die durch ihn geschaffene Situatien als eine
zweifellose und definitive zu betrachten. Ich habe keinen Augenblick an die
Verleumdung geglaubt, daß das Einverständniß zwischen Ratazzi und dern
Cabinet der Tuilerien noch bis heute niemals aufgehört habe, daß die Ent-
wickelung des Dramas bis zur Schlußscene beiderseits vorhergesehen sei, und
daß es sich auch heute noch trotz der drohenden Haltung auf beiden Seiten
nur darum handle, zu constatiren, ob es möglich sein werde, der öffentlichen
Meinung beider Länder eine Theilung des römischen Gebietes nach Statt
und Land annehmbar zu machen. Ich glaube gern, daß die Zurückhaltung,
welche das Ministerium Ratazzi uns gegenüber seither beobachtet hat. ein
natürliches Ergebniß seiner Lage ist, und ziehe daraus nicht den Schluß,
daß die Beziehungen dieses Cabinets zu den anderen Mächten von einem für
Preußen bedenklichen Charakter sein müßten. Aber eine Macht wie Preußen
kann in ihrer gegenwärtigen Stellung nur mit vollkommen sicheren Unter-
lagen, mit klarer Uebersicht über den Stand des Schachbrettes Stellung
nehmen; und diesen Grad von Sicherheit muß ich Ew. offen gestehen, hate
ich nicht in dem Maße, wie Sie ihn aus Ihren persönlichen Eindrücken nach
Ihrer individuellen Auffassung geschöpft zu haben scheinen. Ich bin nickt
ganz frei von der Befürchtung, daß Preußen bei einer Einmischung in die
Streitigkeiten zwischen dem Cabinet Ratazzi und dessen früheren Freunden
in Paris die Rolle des Unberusenen spielen würde, dessen Einmischung in
häusliche Streitigkeiten ihm den Unwillen beider Theile zuzieht. Die Er-
wägung, daß die Neigung des Königs Viktor Emanuels, und der seinem
Herzen näher stehenden Pelitiker bei Schwankungen der italienischen Waase
zwischen Frankreich und Deutschland, auch gegen den Willen der Minister,
leicht den Ausschlag für Frankreich geben könnte, wird in Florenz so gut wie
bier gewürdigt werden. Die königliche Prärogatire könnte schließlich auch
dann, wenn Ratazzi ernstlich entschlossen wäre, Italien vom französischen
Einflusse unabhängig zu machen, eine unerwartete Wendung geben und Mi-
nister von zweifelloser Anbänglichkeit an Frankreich an Stelle Ratazzis be-
rusen. Ew. können von keinen aufrichtigeren Sympathien für das Gedtiben
des Königreichs Italien beseelt sein, als diejenigen sind, welche ich selbst im