Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neunter Jahrgang. 1868. (9)

356 England. 
annehmen, und zu einer Zeit, wo die südliche Armee beinahe vor den Thoren 
von Washington stand. Diese Thatsache muß festgehalten werden, so sehr 
die Regierung auch eine friedliche Ausgleichung wünsche. Die etwa zu lei- 
stende Geldentschädigung verdient kaum eine Berücksichtigung, denn gegenüber 
den englischen Entschädigungsforderungen könnte sie nur sehr unbedeutend 
sein. Der Lord schöpft aus dem freundlichen Empfang, dessen sich der neue 
brittische Gesandte in Washington, Hr. Thornton, zu erfreuen hatte, die Ueber- 
zeugung, daß die Meinung gegen England daselbst eine freundlichere gewor- 
den sei, und bekennt sich zu dem hoffnungsvollen Vertrauen, daß der einzige 
noch streitige Punkt vermittelst einer gemischten Commission, oder auf ande- 
rem Wege, zu einer friedlichen Erledigung gelangen werde. Wenn die eng- 
lische Regierung es bisher für Recht gehalten hat, und noch heute hält, in 
diesem Punkte nicht unbedingt nachzugeben, so trage sie die Ueberzeugung in 
sich, daß nicht nur das Unterhaus, sondern jeder Unparteiische dieß= wie jen- 
seits des Oceans ihre Haltung gerechtfertigt finden werde. (Lauter Beifall.) 
Hr. W. E. Forster äußert seine Befriedigung über das eben Gehörte, meint 
jedoch, daß Hr. Seward von Lord Stanley mißverstanden worden sei. Seine 
Forderung gehe nämlich nicht dahin, daß der Schiedsrichter über die Berech- 
tigung Englands zur Anerkennung der Conföderation als kriegführende Macht 
entscheiden sollte, er fordere bloß für sich das Recht, vor dem Schiedsgerichte 
nachweisen zu dürfen, daß diese frühzeitige Anerkennung die Hauptschuld an 
den späteren Verwüstungen der „Alabama“ trage. Sir G. Bowyer und 
Hr. Sandford stehen beide für den Satz ein: daß jeder Engländer als 
Bürger eines neutralen Staates das Recht besessen habe, dem Süden ebenso 
gut Schiffe wie dem Norden Wafsfen zu liesern. Hr. Mill dagegen erblickt 
den Schwerpunkt der streitigen Sache in der Frage: ob es einem Kriegfüh- 
renden gestatlet sein dürfe, ein neutrales Land zur Grundlage seiner Opera- 
tionen zu machen — eine Frage, die sich offenbar nur verneinend beantworten 
lasse, da auf solche Weise ein Kriegführender seine Operationen nach einem 
Punkte verlegen könnte, an welchem ihm der Gegner nicht zu Leibe gehen 
könnte. Seiner Meinung nach wolle die amerikanische Regierung vor dem 
Schiedsgerichte bloß den Beweis führen, daß, wofern England nicht mit dem 
Süden sympathisirt hätte, die „Alabama“ nimmer hätte entwischen können. 
Er sehe nicht ein, weßhalb es Amerika nicht gestattet sein solle, diesen Nach- 
weis seinen anderen Argumenten anzureihen, und, soviel er glaube, gebe es 
wohl kein einziges Mitglied dieses Hauses, welches nicht zugestehe, daß Ame- 
rika Anspruch auf einige Entschädigung habe. Hr. Mill schließt sich also in 
der Auslegung der Seward'schen Forderungen den Ansichten Forsters an, 
und befürwortet die Niedersetzung einer gemischten Commission, um die Ent- 
schädigungsansprüche Amerika's zu prüfen. (Hr. Sandford hatte geradezu 
empfohlen, Bright nach Amerika zu schicken, um die Sache zu ordnen.) Hr. 
Gladstone stimmt nicht mit Mill. überein, daß jedermann von der Berech- 
tigung Amerika's auf eine Entschädigung überzeugt sei, und wäre dieß der 
Fall, dann brauchte es keines Schiedsgerichtes. Ebenso wenig theilt er die 
Auffassung von Mill und Forster über den Geist der Seward'schen Forder- 
ungen. Mit großer Befriedigung habe er aus dem Munde Lord Stanley's 
vernommen, daß die Verhandlungen noch nicht ganz abgebrochen seien. Der 
edle Lord möge überzeugt sein, daß er bei seinen Bemühungen, einen freund- 
lichen Ausgleich zuwege zu bringen, auf das volle Vertrauen und die Unter- 
stützung des Hauses und Landes zählen könne. 
10—16. März. Unterhaus: Antrag Maguire, viertägige Debatte über die 
irische Frage — Recognoscirungsbewegung der Opposition, als deren 
Resultat sich ergibt, daß die Regierung bezüglich der irischen Frage 
durchaus rathlos und daß die Frage der irischen Staatskirche der 
schwächste Punkt ihrer Stellung ist, während gerade über diese Frage
	        
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