Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neunter Jahrgang. 1868. (9)

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England. 
Diorgeli: Das Haus werde sich erinnern, daß, als im Jahr 1866 Graf 
Derby von der Königin zur Uebernahme der Regierung berufen wurde, dessen 
Partei in diesem Haus in der Minorität war. Se. Lordschaft wäre ganz 
berechtigt gewesen, durch eine Parlamentsauflösung an das Land zu appelli- 
ren, aber bei dem damaligen zersetzten Zustande der liberalen Partei, und 
in Anbetracht, daß das Haus erst unlängst gewählt worden, habe er auf 
seine unzweifelhafte Befugniß verzichtet, in der Hoffnung, daß er auch so die 
Verwaltung des Landes fortzuführen im Stande sein werde. Im Jahr 1867 
habe sich die Regierung aufgefordert gefunden, eine Frage, die Reformfrage, 
in die Hand zu nehmen, an welcher bis dahin jedes Ministerium, das es 
versucht, gescheitert; aber Lord Derby habe das Werk muthig angegriffen, 
und schließlich eine große Maßregel durchgesetzt, von welcher man wohl glau- 
ben dürfe, daß sie das Land befriedigt habe. Nach Vollendung eines solchen 
Actes würde es um so mehr in Lord Derby's Befugniß gelegen sein, das 
Parlament auszulösen und die Meinung der Nation zu vernehmen, aber wie 
im vorigen Jahr verzichtete Se. Lordschaft abermals darauf. Ohne alle 
Schönfärberei glaube er (Disraeli) sagen zu können, daß das Verfahren der 
Regierung durchaus ein verfassungsmäßiges gewesen, und deren correcte Hal- 
tung auch nie beanstandet worden sei. Die Art, wie sein edler Freund (Lord 
Abercorne) Irland verwaltete, habe allgemein und im höchsten Grade befrie- 
digt; die Finanzmaßnahmen der Regierung habe man nie bemängelt oder 
bestritten, vielmehr seien sie von vielen Mitgliedern der Opposition unterstützt 
worden; die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten habe den Beifall der 
brittischen Nation und der auswärtigen Großmächte geerntet, und eben jetzt 
habe England alle Ursache, auf die siegreiche Beendigung des abyssinischen 
Feldzugs stolz zu sein, sowie auf den General und die Truppen, denen die 
Führung desselben anvertraut war. Das Mißlingen einer solchen Expedition 
würde von den bedenklichsten Folgen begleitet gewesen sein, aber Dank der 
Weisheit, womit sie eingeleitet worden, und woran die Regierung doch wohl 
einiges Verdienst ansprechen dürfe, sei ihr Zweck vollständig erreicht worden. 
Da, mitten unter solchen glücklichen Auspicien, sei plötzlich die jetzige Krisis 
aufgetaucht. Nach einer Ankündigung von nur wenigen Tagen wurde das 
Haus aufgefordert, über eine Frage von erschreckender Bedenklichkeit zu ver- 
handeln und zu entscheiden — über die Frage: ob die Staatskirche in einem 
Theile des Königreichs fortbestehen solle, oder nicht. Da eben jetzt eine Com- 
mission sitze, um über die Einkünfte der irischen Staatskirche zu begutachten, 
so hätte man gehofst, das Haus der Gemeinen würde den Commissionsbericht 
abwarten, bevor es eine definitive Entscheidung träfe; aber leider sei das 
nicht der Fall gewesen, und die Regierung habe sich verpflichtet gefühlt, dem 
bezüglichen Vorschlag den entschlossensten Widerstand entgegenzusetzen, in der 
Ueberzeugung, daß nach der irischen auch bald die englische Staatskirche an 
die Reihe kommen würde. (Der Redner erwägt hier die Gefahren einer 
solchen Eventualität: entweder würde Englands Staatskirche siegreich aus dem 
Kampf hervorgehen, und dann könnte sie zu mächtig werden für den Staatz 
oder aber sie unterläge, zersiele dann in unter sich seindselige Bruchtheile, 
und dahinter stünde der Despotismus des römischen Hofs. Jedenfalls würde 
das königliche Supremat zerstört sein.) Nachdem gleichwohl die bekannte Ab- 
stimmung erfolgt, habe er sich bemüssigt gefunden, die ganze Sache der Kö- 
nigin vorzulegen. Unter den gegebenen Umständen habe er Ihrer Maj. ge- 
rathen, das jetzige Parlament aufzulösen. (Zuruf und Gegenruf.) Er habe 
beigefügt: wenn es Ihrer Maj. so besser scheine, seien er und seine Collegen 
zum Rücktritt bereit. Kurz, er habe seine Entlassung angeboten, Ihre Maj. 
aber, allzu gnädig, habe sie nicht angenommen, wohl aber seinen andern 
Vorschlag: das Parlament aufzulösen, sobald es der Stand der öffentlichen 
Geschäfte erlaube. Sein Wunsch sei, daß diese Berufung an die neuen 
Wählerschaften des Landes (d. h. nach der neuen Reformacte) geschehe, und