388
Frankreich.
gebrochen und eine viel eingreisendere Reform in Aussicht genommen. Auf
einen Rapport des Kriegsministers vom 26. Oct. 1866 berief der Kaiser eine
Commission von fünf Ministern, der Marschälle von Frankreich, der Ge-
nerale und hoher Intendanturbeamten, welche unter seinem Vorsitze die Frage
zu berathen hatte, wie man am besten die nationalen Kräfte in die Lage
versetzen könne, die Vertheidigung des Landes und die Aufrechthaltung seines
politischen Einflusses zu sichern? Der „Moniteur“ vom 12. Dec. vor. Is.
machte bekannt, daß die Commission ihr Project zur Neorganisation der
Armee dem Staatsrath übergeben habe und verkündigte die Hauptgrund-
lagen dieser Reorganisation. In erster Linie war die Frage berathen
worden: ob angesichts der preußischen Ersolge und der überlegenen preußi-
schen Wehrkraft die allgemeine Wehrpflicht auch von Frankreich zu
adoptiren sei, und die Generale in ihrer Mehrheit hatten diese Frage ver-
neint, weil sie die bekannten Vorzüge ihrer seitherigen Berussarmee den ihnen
unbekannten Eigenschaften eines Volksheers nicht geopfert wissen wollten.
Den Ausschlag hatte aber etwas anderes gegeben: der Widerwille der Nation
hatte in so unverkennbarer Weise gegen diesen Gedanken reagirt, daß der
Kaiser auch beim besten Willen ihn nicht festzuhalten vermochte.
Die Reorganisations-Commission stellte nunmehr als erstes Postulat eine
Feldarmee von 800,000 Mann zur Verwendung gegen Außen und eine ge-
nügende Streitmacht zur Sicherung im Innern, zur Bewachung der Festungen
und zur Küstenvertheidigung. Sie klasificirte diese Kriegsmacht nach den
drei Kategorien: 1) Active Armee mit sechsjähriger Dienstzeit, also sechs
Jahrescontingente, Ausgehobener, Freiwilliger und Einsteher; 2) Reserve,
gleichsalls mit sechsjähriger Dienstzeit, die Freigeloosten umfassend und je
nach ihren Loosnummern zerfallend in erstes Aufgebot, auch im Frieden
zur Verfügung des Kriegsministers, und zweites Aufgebot, nur in Kriegs-
zeiten durch kaiserliches Decret berufbar, beide mit der Erlaubniß zum Hei-
raten nach den ersten vier Dienstjahren; 3) Landwehr (mobile National=
garde) mit dreijähriger Dienstzeit, aus den Soldaten, welche sechs Jahre im
Heer oder in der Reserve gedient, wie aus den Losgekauften zusammengesetzt,
und nur im Kriegsfalle durch Specialgesetz verfügbar. Zur Erleichterung
der Lasten, welche dieses neue Project dem Land auferlegte, und gegen welche
die öffentliche Meinung sehr lebhaft sich sträubte, glaubte der Staatsrath ver-
schiedene Modificationen anbringen zu müssen, und so gelangte das von ihm
redigirte Gesetzproject über die Armee und die Nationalgarde
unterm 7. März 1867 vor den gesetzgebenden Körper. Der Moniteur vom
9. März brachte ein Nesumé dieses Projects, wonach mit Festhaltung neun-
jähriger Dienstzeit die Gesammtzahl des Jahrescontingents für die Armee
verwendet werden sollte in der Art, daß die erste Klasse fünf Jahre in der
Armee, vier in der Reserve, die zweite vier in der Reserve und fünf in der
mobilen Nationalgarde dienen, letzterer überdieß sämmtliche Losgekauste an-
gehören sollten; Linie und Reserve standen auch im Frieden zur Disposition
des Kriegsministers, die Nationalgarde blieb nur durch Specialgesetz verfügbar
oder — war der gesetzgebende Körper nicht versammelt — durch Decret, das
aber binnen zwanzig Tagen durch die Legislative mit Gesetzkraft versehen
werden mußte; die Nalionalgarde hatte sich während ihrer fünfjährigen
Dienstzeit militärischen Uebungen zu unterwerfen, welche die Zeit von dritt-
halb Monaten im Ganzen, von zwanzig Tagen in einem Jahre nicht über-
steigen durften und während deren die Angehörigen der militärischen Disciplin
und den Kriegsgesetzen sich zu unterwerfen hatten.
Dieser Entwurf erfuhr in der Kammercommission vielfache Anfech-
tungen und Modificationen, so daß der Berichterstatter Gressier in der Sitzung
vom 8. Juni einen im Einverständniß mit dem Staatsrath ganz neu re-
digirten Entwurf einreichte, welcher nicht mehr das volle Jahrescontin=
gent verwenden, dasselbe vielmehr alljährlich durch Specialgesetz so feststellen