Frankrelch. 403
Die Nedner der Opposition und die der Majorität sind darüber einig,
daß die Finanzlage des Landes keine befriedigende sei, daß in Wahrheit das
Budget jährlich ein Deficit ausweise, das, bei der Unmöglichkeit, an Erhöhung
der Abgaben auch nur zu denken, eben nur durch periodische Anlehen, wie
das jetzt wieder vorgeschlagene, gedeckt werden könne, daß man aber auf die-
sem Wege unausweichlich einer Katastrophe entgegen gehe. Als Heilmittel
wird von der Opposition vor allem nur auf eine Beschränkung der Militär-
ausgaben und zu diesem Ende hin auf eine entschiedene und aufrichtige Frie-
denspolitik gedrungen, als Bedingung dafür aber die Beschränkung der kai-
serlichen Allmacht und die Einsetzung eines verantwortlichen Ministeriums
gefordert. Dadurch wird die Debatte allmälig von den trockenen Zahlen auf
das Gebiet der inneren und äußeren Politik und namentlich auf das Ver-
hältniß zu Deutschland übergesührt, zunächst durch Thiers, dem IJ. Farre folgt
und der dem Staatsminister Rouher gewonnenes Spiel in seiner Art gibt.
Debatte über die auswärtige Politik. Hr. Thiers: „Wissen Sie,
was eigentlich diese Ausgaben zur Nothwendigkeit macht? Die Lage Europa's.
Und wissen Sie, wer diese Lage geschaffen hat? Das heutige Geschlecht leider,
das in seinem Irrwahn sich von der sländigen Politik Europa's trennen
wollte. Man hat die Geister durch den Reiz der Neuheit verführt und ihnen
jene traurigen politischen Theorien, jene Nationalitäts-Theorien vorgeführt,
welche die Oberfläche Europa's verändert haben, welche den Orient umzuge-
stalten und die heutige Menschheit in unsägliche Verwirrungen und grausige
Blutströme zu stürzen drohen. Sie haben recht, den Krieg zu verabscheuen.
Allein es ist wahr, daß unser Geschlecht vor der Geschichte den Irrthum zu
verantworten haben wird, den es dadurch beging, daß es die wahrhaft fran-
zösische Politik ausgab. Die von Frankreich seit Jahrhunderten befolgte große
Politik, durch die es in den Mittelpunkt Europa's gestellt ward, und die
zwischen den Völkern ausgleichende Wage in Händen hielt, jene Politik ward
aufgegeben, um gewissen thörichten Tagesideen zu schmeicheln. Man hat die
Einheit Italiens geschassen und dadurch die Einheit Deutschlands unabweisbar
gemacht. Ja, man hat sie sogar selbst geschaffen, worüber ich für meinen
Theil untröstlich bin. Es schmerzt mich dieß tief für mein Land, denn die
Lage Europa's, noch mehr aber die Frankreichs, ist dadurch tief gestört wor-
den. Darum auch müssen Sie so viel Geld ausgeben. Nicht die neue Be-
waffnung, nicht der Fortschritt der Wissenschaften, nein, die Politik gebeut es.
Ich beeile mich beizufügen, daß ich meines Theils alle diese Ausgaben als
nothwendig anerkenne, welche durch die nationale Vorsicht geboten sind. Allein
ich bewillige diese Ausgaben nicht mit dem geheimen Wunsch nach einem Krieg.
Wissen Sie, m. H., welche Aussicht uns bleibt, daß das wahrhafte Gleich-
gewicht Europa's wiederhergestellt werde? Es bleibt uns die Aussicht, daß
der Föderativsinn (sentiment fédéral), der stets in Deutschland vorhanden
war, wieder erstehe. Er ist bestrebt, wieder zu erstehen, und wissen Sie, seit
wann? Seitdem man man in Deutschland angefangen hat, sich zu über-
zeugen, daß Frankreich nicht geneigt ist, gegenwärtig in den deutschen Ange-
legenheiten zu interveniren. (Zahlreiche Zeichen der Zustimmung.) Seitdem
Deutschland sich beruhigt (sc rassure), kehrt es zu dem ihm innewohnenden
tiefsen Trieb nach einer Föderation, und keineswegs nach einem militärischen
Einheitsstaat zurück. Man würde diesen werthvollen Proceß in den Geistern
(ce précieux travail dans les esprits) stören, wenn man heute interveni-
ren wollte. Es wäre ein großer Fehler, ich wiederhole es, jetzt Krieg zu
wollen, und ich sage darum zu den beiden glorreichen Ministern: Ja, ich
stimme dafür, die Summen, welche Sie sordern, zu bewilligen, aber nicht
für den Krieg. (Unterbrechung.) Ich werde mich hierüber erklären. Wissen
Sie, m. H., warum ich diese Rüstungen billige, ohne daß ich den Krieg
will) Darum, weil diese Rüstungen Frankreich in größere Achtung setzen
werden (rendront plus respectable). Man soll zwei Dinge wissen: ein-
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