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Frankreich.
mal, daß wir den in ODeutschland vor sich gehenden Proceß nicht stören
wollen, dann, daß wir mächtig genug sind, keine neuen eigenmächtigen An-
maßungen (usurpations) in Europa mehr zu gestatten. (Sehr gut! auf
vielen Bänken; verschiedenartige Bewegung.) Und wann einmal, in Verbin-
dung mit unsern Rüstungen, unser Entschluß, den Frieden erhalten zu
wollen, feststeht, so wird dieß eine große Friedensbürgschaft sein. Dieß sind,
meiner Ansicht nach, die Gründe, um den beiden sehr tüchtigen Ministern
die Forderungen, die sie an uns stellen, nicht streitig zu machen. Aber ich
fühle wohl, man darf immerhin die Besorgniß hegen, daß diese aus reiner
Vorsicht von Ihnen bewilligten Fonds doch zum Kriege dienen. Erlauben
Sie mir, Ihnen zu sagen, daß, wenn Sie auch alle Ausgaben verweigerten,
Sie damit noch keine ausreichenden Vorsichtsmaßregeln getroffen hätten,
um den Krieg zu verhindern, so wie einmal die Regierung ihn im Schilde
führen sollte. (Bewegung.) Und dieß ist — mag es mir der Hr. Präsident
verzeihen — denn die Wahrheit entschlüpft mir, ohne daß ich es verhindern
kann — dieß ist die Schuld unserer Verfassung. (Verschiedenartige Bewegung;
sehr gut! links.) Wann Sie einmal wissen, wo der leitende Wille sich befin-
det, wo, in welchem Ministerium, in welchem Theil der Regierung — wann
dieser leitende Gedanke mit Ihnen abrechnen muß, und zwar durch das ein-
zige Mittel, welches die modernen Verfassungen ausfindig gemacht haben,
durch verantwortliche Minister, dann werden Sie eine Bürgschaft haben.
Allein Credite für besondere Ausgaben zu verweigern, dieß ist, glauben Sie
es mir, bei unsern gegenwärtigen Verfassungszuständen kein Mittel, das
Ihnen eine Garantie verleiht. Sowie Sie einmal diesen Saal verlassen
haben, wird man sich durch Supplementarcredite alle Summen verschaffen,
deren man bedarf, und, ohne sich an Sie wenden zu müssen, wird man alles
thun, was man thun wollte. Wohlan, ich sage es, das Land hört mich und
Sie hören mich auch: unsere Verfassung muß durchgreifend verändert werden
(i1 faut due notre constitution soit profondément modifiée). (Sehr
gut! links; Unruhe auf einigen Bänken.) Präsident Schneider: Es ist
dieß ein auf Unterstellung beruhendes Naisonnement, folglich habe ich nichts
darüber zu sagen. (Bewegung; zustimmendes Gelächter.) E. Picard: An
der Constitution ist es, dieß zu beherzigen. Thiers kehrt hierauf, als wäre
weiters nichts besonderes vorgesallen, zur Discussion einzelner Budgetfragen
zurück. Zum Schlusse kommt er nochmals auf den Einfluß zurück, welchen
die Politik auf das Budget ausübt. „...Warum“, fragt er. „ist das Budget
in so traurigem Zustande? Darum, weil es Ihre ganze Politik in sich schließt.
Es enthält Ihre ganze Politik, ja; es enthält Italien, es enthält Deutsch-
land, es enthält Mexico, Paris, es enthält, ich wage es kaum zu sagen, um
Sie nicht aufzubringen, es enthält auch — die Wahlen! (Lärm; sehr gut!
links.) Es wäre mir leicht, Ihnen zu sagen, für wie viel Italien, für wie
viel Deutschland in unserm Budget steht. Ich könnte Ihnen auch sagen,
welches der Antheil Mexico's ist. Nächstens werden wir Ihnen sagen, was
auf Paris kommt. Was uns aber die Wahlen kosten, werde ich mich wohl
hüten, Ihnen zu sagen.“ (Gelächter; verschiedenartige Bewegung.). . Die
letzten Worte der Rede lauten: „Man wird mir bemerklich machen, daß ge-
wisse Wahrheiten die Regierung erschüttern; ich gebe zu, daß dem so sein
kann; allein wissen Sie, was diese Wahrheiten thunf wenn man sie nicht
sagt? „„Sie vernichten die Regierungen.““ Jules Favre: Preußen wird
wohl nicht unbesonnen genug sein, um Frankreich zu bedrohen. „Nur ein
Mittel könnte es so weit bringen, und dieses ebenso unsinnige wie gefährliche
Mittel bestände darin, daß Frankreich ihm das Schwert vorhielte, das Schwert,
das nicht sowohl Preußen als das Herz Deutschlands bedrohen würde.“ Den
Satz, daß eine Abrüstung nur in Folge einer allgemeinen Uebereinstimmung
der Mächte vor sich gehen könne, bekämpft J. Favre mit großer Lebhaftigkeit.
Dieß annehmen und darauf hin handeln zu wollen, hieße ganz Europa zum