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welche die Kirche Christi bedräuen, mehr als je der evangelischen Liebe be-
dürftig seien! Nur eine glückliche, gerechte Lösung könne es geben, und die
bestehe darin, daß man in die Zeit vor 1000 Jahren zurücksteige, wo es eine
Kirche gab, die im Orient und im Occident, im neuen und im alten Rom
sich zu denselben Dogmen bekannte. Von diesem Standpunkte aus möge man
untersuchen, was seitdem der reinen Lehre beigesügt oder entzogen worden sei.
Und dann, wenn dieses Läuterungswerk vollbracht, möge man sich allseitig
in der universellen Orthodoxie einigen, von der sich Nom im Laufe der Jahr-
hunderte immer mehr entfernt, indem es sich bemühte, durch stets neue
Lehren und Dogmen die Kluft zu erweitern und von der heiligen Tradition
abzuirren. Auf die Frage Dom Testa's, welches dann die abweichenden
Lehren seien, erklärte der Patriarch zunächst, daß, so lange die Kirche des
Erlösers auf Erden bestehe und bestehen werde, kein einzelner Bischof, sondern
nur der Heiland selber Herr und Meister der Kirche sein könne. Es gäbe
keinen unsehlbaren Patriarchen, der, wenn er ex cathedra spreche, sich über
das ökumenische Concil zu versetzen vermöge, das allein unsehlbar sei. Die
Herren Abbaten versuchten verschiedene Einwendungen; unter Anderem machten
sie auf das Concil von Florenz aufmerksam, das ja ehedem die beiden Kirchen
geeinigt habe. Nur wenige seien außerhalb dieser Einigung geblieben, und
sie sollten auf dem nächsten Concil eines Bessern belehrt und für die Eini-
gung gewonnen werden. Der Patriarch verwarf in ziemlich scharsen Aus-
drücken das Concil von Florenz, das durch die Gewalt zusammengebracht
und durch ausschließlich politische Interessen beherrscht worden sei. Nur die
sieben Concilien der ersten acht Jahrhunderte, die der heilige Geist erleuchtet,
könnten als wirklich ökumenische Concilien gelten; in ihnen allein liege das
höchste Kriterium der christlichen Wahrheit. Schließlich erklärte der Patriarch,
daß immerhin Bischöfe des Occidents sich zur Ausklärung von Zweifeln 2c.
versammeln könnten, so oft und wann es ihnen gefalle. Allein die Bischöfe
des Orients seien sich über die von den heiligen Vätern überlieferten un-
wandelbaren Dogmen klar. Aber auch an der Form der Einladung nimmt
er hinlänglichen Anstoß, um den Charakter eines ökumenischen Concils der
im December 1869 in Rom zusammentretenden Versammlung vollkommen
abzusprechen. „Wenn der sehr heilige Vater in Rom“, also lauteten die
Worte des Patriarchen, „die apostolische Gleichheit und Brüderlichkeit aner-
kennte, so hätte er als ein Ebenbürtiger, kraft des Dogmas, und als der
Erste, als Inhaber seines Sitzes, kraft des heiligen Canon, ein persönliches
Schreiben an jeden Patriarchen und an jede Synode des Orients richten
müssen, nicht um ihnen seinen Willen durch Enchclica und ößfsentliche Blätter,
gleichsam als Herr und Gebieter Aller, aufzuerlegen, sondern um sie, wie ein
Bruder seine Brüder und die ihm an Rang und Würden Ebenbürtigen, um
ihren Rath über den Zusammentritt, den Ort und die Art und Weise dieser
Versammlung zu befragen.“ Allein unter den gegebenen Umständen muß
der Patrlarch zu seinem Leidwesen die Einladung und das Schreiben als
vollkommen unnütz ansehen.
26. Oct. Der Papst besucht Civitavecchia, besichtigt die neuen Vertheidi-
gungswerke und ertheilt den franz. Occupationstruppen seinen Segen.
34. „ Der Marquis von Banneville tritt als Botschafter Frankreichs
an die Stelle des Grafen Sartiges. (s. Italien 4. Sept.)
9. Nov. Ein päpstliches Edict setzt die bisherigen Zölle sehr wesentlich
herab.
In diesem Edict macht der Cardinal Antonelli bekannt, daß Se. Heilig-
keit, in der Absicht, den Wünschen der Handelswelt zu entsprechen, die Ver-
öffentlichung eines neuen Zolltarifs angeordnet habe, der sofort in Kraft