Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neunter Jahrgang. 1868. (9)

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welche die Kirche Christi bedräuen, mehr als je der evangelischen Liebe be- 
dürftig seien! Nur eine glückliche, gerechte Lösung könne es geben, und die 
bestehe darin, daß man in die Zeit vor 1000 Jahren zurücksteige, wo es eine 
Kirche gab, die im Orient und im Occident, im neuen und im alten Rom 
sich zu denselben Dogmen bekannte. Von diesem Standpunkte aus möge man 
untersuchen, was seitdem der reinen Lehre beigesügt oder entzogen worden sei. 
Und dann, wenn dieses Läuterungswerk vollbracht, möge man sich allseitig 
in der universellen Orthodoxie einigen, von der sich Nom im Laufe der Jahr- 
hunderte immer mehr entfernt, indem es sich bemühte, durch stets neue 
Lehren und Dogmen die Kluft zu erweitern und von der heiligen Tradition 
abzuirren. Auf die Frage Dom Testa's, welches dann die abweichenden 
Lehren seien, erklärte der Patriarch zunächst, daß, so lange die Kirche des 
Erlösers auf Erden bestehe und bestehen werde, kein einzelner Bischof, sondern 
nur der Heiland selber Herr und Meister der Kirche sein könne. Es gäbe 
keinen unsehlbaren Patriarchen, der, wenn er ex cathedra spreche, sich über 
das ökumenische Concil zu versetzen vermöge, das allein unsehlbar sei. Die 
Herren Abbaten versuchten verschiedene Einwendungen; unter Anderem machten 
sie auf das Concil von Florenz aufmerksam, das ja ehedem die beiden Kirchen 
geeinigt habe. Nur wenige seien außerhalb dieser Einigung geblieben, und 
sie sollten auf dem nächsten Concil eines Bessern belehrt und für die Eini- 
gung gewonnen werden. Der Patriarch verwarf in ziemlich scharsen Aus- 
drücken das Concil von Florenz, das durch die Gewalt zusammengebracht 
und durch ausschließlich politische Interessen beherrscht worden sei. Nur die 
sieben Concilien der ersten acht Jahrhunderte, die der heilige Geist erleuchtet, 
könnten als wirklich ökumenische Concilien gelten; in ihnen allein liege das 
höchste Kriterium der christlichen Wahrheit. Schließlich erklärte der Patriarch, 
daß immerhin Bischöfe des Occidents sich zur Ausklärung von Zweifeln 2c. 
versammeln könnten, so oft und wann es ihnen gefalle. Allein die Bischöfe 
des Orients seien sich über die von den heiligen Vätern überlieferten un- 
wandelbaren Dogmen klar. Aber auch an der Form der Einladung nimmt 
er hinlänglichen Anstoß, um den Charakter eines ökumenischen Concils der 
im December 1869 in Rom zusammentretenden Versammlung vollkommen 
abzusprechen. „Wenn der sehr heilige Vater in Rom“, also lauteten die 
Worte des Patriarchen, „die apostolische Gleichheit und Brüderlichkeit aner- 
kennte, so hätte er als ein Ebenbürtiger, kraft des Dogmas, und als der 
Erste, als Inhaber seines Sitzes, kraft des heiligen Canon, ein persönliches 
Schreiben an jeden Patriarchen und an jede Synode des Orients richten 
müssen, nicht um ihnen seinen Willen durch Enchclica und ößfsentliche Blätter, 
gleichsam als Herr und Gebieter Aller, aufzuerlegen, sondern um sie, wie ein 
Bruder seine Brüder und die ihm an Rang und Würden Ebenbürtigen, um 
ihren Rath über den Zusammentritt, den Ort und die Art und Weise dieser 
Versammlung zu befragen.“ Allein unter den gegebenen Umständen muß 
der Patrlarch zu seinem Leidwesen die Einladung und das Schreiben als 
vollkommen unnütz ansehen. 
26. Oct. Der Papst besucht Civitavecchia, besichtigt die neuen Vertheidi- 
gungswerke und ertheilt den franz. Occupationstruppen seinen Segen. 
34. „ Der Marquis von Banneville tritt als Botschafter Frankreichs 
an die Stelle des Grafen Sartiges. (s. Italien 4. Sept.) 
9. Nov. Ein päpstliches Edict setzt die bisherigen Zölle sehr wesentlich 
herab. 
In diesem Edict macht der Cardinal Antonelli bekannt, daß Se. Heilig- 
keit, in der Absicht, den Wünschen der Handelswelt zu entsprechen, die Ver- 
öffentlichung eines neuen Zolltarifs angeordnet habe, der sofort in Kraft
	        
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