Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neunter Jahrgang. 1868. (9)

Schwelz. 449 
22—26. Sept. Zweiter Congreß der internationalen Friedens= und Frei- 
heits-Liga in Bern. 
Programm des Centralcomité: „Die internationale Friedens= und 
Freiheits-Liga geht von der Ansicht aus: daß, wie es in den Beschlüssen des 
Genfer Congresses ausgesprochen ist, ein dauerhafter Frieden unter den gegen- 
wärtigen ökonomischen und politischen Zuständen Europa's nicht hergestellt 
werden kann; daß die Liga sich zum Ziele setzen muß, eine thätige Propa- 
ganda zu üben, um die Freiheit auf die Organisation der Gerechtigkeit in 
der modernen Gesellschaft zu stützen; — demgemäß anerkennt die Liga die 
unbedingte Nothwendigkeit, die drei Seiten des socialen Problems — die 
religiöse, politische und ökonomische nicht von einander zu trennen, und in 
Folge dessen erklärt sie: 1) daß die Religion, als Sache der individuellen 
Ueberzeugung den politischen Einrichtungen fremd bleiben und ebenso aus 
dem öffentlichen Unterrichtswesen beseitigt werden muß, damit die Kirchen 
nicht mehr die freie Entwicklung der Gesellschaften aufhalten können; 2) daß 
den Vereinigten Staaten von Europa eine Organisation zu Grunde gelegt 
werden muß, welche auf volksthümlichen und demokratischen Institutionen 
beruht und zu ihrer Grundlage die Gleichheit der Rechte des Individuums 
sowie die Autonomie der Gemeinden und Provinzen in Beziehung auf Ord- 
nung ihrer eigenen Angelegenheiten hat; 3) daß das gegenwärtige ökono- 
mische System von Grund aus geändert werden muß, sofern man zu einer 
gerechten Vertheilung der Güter, der Arbeit, der Muße, des Unterrichts und 
dadurch zu einer vollkommenen Befreiung der arbeitenden Klassen und zur 
Beseitigung des Proletariats gelangen will; die Liga verwahrt sich gegen 
jeden Versuch einer Socialreform, der von irgend einer despotischen Gewalt 
ausgehen sollte. Ausgehend von diesen Grundsätzen schlägt das permanente 
Centralcomité vor, dem zweiten Friedens= und Freiheits-Congreß folgende 
Fragen zur Behandlung vorzulegen: I. Welches sind, mit Rücksicht auf Frie- 
den und Freiheit, die Vorzüge der Abschaffung der stehenden Heere und der 
Einführung von Nationalmilizen, oder sogar einer allgemeinen Entwassnung? 
II. In welchen Beziehungen steht die ökonomische oder sociale Frage zu der- 
jenigen des Friedens durch die Freiheit? III. Welches sind in Beziehung 
auf Frieden und Freiheit die Vorzüge einer Trennung der Kirche vom Staate? 
IV. Wie kann das föderative Princip in den verschiedenen Ländern ausgeführt, 
und auf welche Art kann der Verband der Vereinigten Staaten von Europa 
hergestellt werden! Dem Reglement zufolge werden Frauen unter den näm- 
lichen Bedingungen und in gleichen Rechten wie die Männer zum Congresse 
aufgenommen; sie sind eingeladen, sich an den Berathungen zu betheiligen 
und die Fragen vorzuschlagen, an welchen sie besonders Interesse nehmen.“ 
Ein Aufruf an die Bewohner Berns seizzirt den Zweck des Con- 
gresses in Kürze nochmals also: „Gleich dem letztjährigen Congreß in Genf 
setzt sich auch der in Bern die Aufgabe, aus dem Munde von Vertretern 
aller europäischen Völker Verwahrung einzulegen gegen die Ueberspannung 
der Kriegsrüstungen, gegen das Unwesen der stehenden Heere, gegen die ver- 
derbliche Politik der großen Militärstaaten, welche den Frieden und alle unter 
seinem Schutz gedeihenden Interessen bedroht. Er faßt die Friedensfrage als 
Freiheitsfrage auf. Nicht die Völker sind es. welche den Krieg fordern. Führe 
man die, Völker zur Freiheit, zum Selbstbestimmungsrecht, schaffe man ihnen 
befriedigende sociale Zustände, so werden die Ursachen des Kriegs beseitigt, 
und wird die Erhaltung des Friedens gesichert sein. Der Militarismus be- 
droht den Frieden, er bedroht die Freiheit, er bedroht nicht minder auch die 
Unabhängigkeit und die Rechte der freien kleineren Staaten. Keinem Lande 
liegt es so nahe wie der Schweiz, die Freiheitsbestrebungen der Völker, durch 
welche die Politik der Gewalt, die Uebermacht, die beständige Kriegsbereitschaft 
an der Wurzel angegriffen wird, mit ihren Sympathien zu unterstützen." 
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