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Belgien.
erregen in Belgien lebhafte Unruhe und geben mehrfach Anlaß zu
antifranzösischen Demonstrationen.
6.— 13. Sept. Internationaler Arbeiter-Congreß in Brüssel.
Derselbe wird durch den Präsidenten Jung, einen Uhrmacher aus London,
eröffnet. Er erzählt in französischer Sprache den Ursprung und den Ent-
wicklungsgang der Association. Vor vier Jahren, so berichtete er, kamen vier
französische Arbeiter nach London und legten das Fundament der gegenwärtigen
Association mit einigen englischen Arbeitern. Der Zweck derselben ist die
Einigung der Arbeiter der verschiedenen Länder. Ihr Interesse ist überall
dasselbe, insoferne als sie überall das Kapital zum Gegner haben. Zwischen
dem Arbeitgeber, der von dem Nutzen lebt, den er von der Arbeit vorab
nimmt, und dem Arbeiter herrscht ein beständiger Krieg, gerade so, wie der
Freihandel gewissermaßen einen Kriegszustand der Kapitalisten unter einander
geschaffen. Ein solcher Zustand ist abnorm. Der Zweck der internationalen
Association bestehe darin, die erforderliche Harmonie der Interessen Aller zu
begründen. Der Arbeiter soll sein eigener Herr werden. Um dahin zu ge-
langen, genügt es nicht, die Arbeitgeber zu bekämpfen, sondern auch die po-
litischen Parteien, welche sich der Arbeiter bedienen wollen. Die Association
bezweckt keine allgemeinen Strikes herbeizuführen: sie will keine Erhöhung
der Löhnung, sondern die Abschaffung der Löhne, d. h. des Löhnungssystemes
selbst erreichen. Der Lohnarbeiter ist bedauernswerther, als früher der Neger
in Amerika und der Leibeigene in Rußland es waren; die Herren der letz-
teren mußten sie wenigslens bis zu ihrem Ende ernähren; der zum Invaliden
gewordene Arbeiter dagegen hat weder Brod noch Obdach. Die internationale
Arbeiter-Association hat sich rasch entwickelt. Das Nähere werden die ein-
zelnen Delegirten über die Lage ihrer respektiven Länder ergänzen. Herr
Jung schließt mit der Schilderung der günstigen Lage der Association; sie
sei handgreiflich, man dürfe nicht vergessen, daß sie erst von gestern datire.
Der gegenwärtige Congreß habe die Mittel zu untersuchen und festzustellen,
vermittelst welcher die theoretisch auf den früheren Congressen gefaßten Reso-
lutionen praktisch zu verwerthen und auszuführen seien. Nach dem Präsi-
denten sprechen die verschiedenen Delegirten und erstatten mehr oder minder
gut Bericht — jeder in seiner Muttersprache — über die Lage der Arbeiter
ihrer respektiven Länder. Alle Reden werden successive von Arbeitern, die
mehrere Sprachen verstehen, im Englischen, Vlämischen und Deutschen verdol-
metscht, und das mit einer wirklich erstaunlichen Treuc und Leichtigkeit.
Jung spricht ebenfalls sehr gut deutsch. Herr Tolain, einer der Pariser
Delegirten, hat eine fast parlamentarische Beredsamkeit. Er constatirt, daß
die gegenwärtige Gesetzgebung Frankreichs jede Arbeiter-Association unmöglich
macht; es bleibt daher den Arbeitern kein anderes Mittel, als sich einzeln
den auswärtigen Arbeiter-Gesellschaften anzuschließen, was denn auch geschieht.
Lucraft aus London, ein Stahlarbeiter, gleichzeitig eines der thätigsten Mit-
glieder der Reform-Liga, meint, eine Idee des Präsidenten näher ausführend,
so lange die Arbeiter Tausenden von Leuten den Müßiggang gestatten, wür-
den auch Armuth und Elend sortdauern. Die Armeen müßten sofort ab-
geschafft werden, und die Arbeiter könnten nur dann ihre Lage bessern und
Menschen werden, wenn sie sich zu der Herrschaft, nicht durch die Gewalt,
sondern durch den legalen Weg in den gesetzgebenden Kammern Bahn brechen.
England sei auf gutem Wege. Am 7. Sept. beginnt die eigentliche Dis-
euslen der dem Congreß vorliegenden Fragen und werden folgende Beschlüsse
efaßt:
8 Ueber die Frage der Arbeitseinstellungen: „1) Der Congreß erklärt,
daß ein Strike nicht das Mittel sei, die Arbeiter vollständig frei zu machen,
daß er aber bei dem gegenwärtigen Stande der Arbeit und des Kapitals
häufig eine Nothwendigkeit sei; 2) es sei erforderlich, die Strikes gewissen