Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neunter Jahrgang. 1868. (9)

Rußland. 473 
Gouvernements Warschau, Kalisch, Kielce, Lomza, Lublin, Pietrokow, Plock, 
Nadom, Suwalk und Siedlee sind gleich den übrigen Gouvernements des 
Kaiserreichs dem regierenden Senat unterzuordnen. Die finanziellen Angelegen- 
heiten sind mit dem Finanzministerium, alle übrigen mit dem Ministerium 
des Innern in Petersburg zu vereinen. Dem Statthalter als dem General- 
chef des Landes die nähere Aussicht über den Lauf der Angelegenheiten über- 
lassend, ist sein Verhältniß festzustellen zu den Ministerien (in Petersburg), 
deren Macht über die erwähnten Gouvernements (Königreich Polen) auf der- 
selben Basis wie in allen anderen Gouvernements hiermit ausgedehnt wird. 
Die Angelegenheiten der orthodoxen Kirche (welche im Königreiche gleich den 
anderen Kirchen und Confessionen einer Controle der weltlichen Macht unter- 
stellt war) sind ausschließlich dem Consislorium dieser Kirche zurückzugeben, 
welches Consistorium direct vom allerheiligsten Synod (in Petersburg) res- 
sortirt. Die Sorgfalt um Hebung der Landwirthschaft in den zehn Gouver= 
nements wird dem Ministerium der kaiserlichen Güter (in Petersburg) unter- 
geordnet. Der bestehende Industrierath (aus Bürgern bestehend)) wird sofort 
beseitigt. Die Landespolizei, die dem Ministerium unterstellt wird, bleibt nur 
in inspectiver und disciplinarer Beziehung vom Generalchef (Statthalter) 
abhängig. Die Wohlthätigkeits-Institutionen in den zehn Gonvernements 
werden bis zu deren Reorganisation vorläufig dem Regulirungs-Comilé 
untergeordnet. Die Oberleitung der Theater wird unter Aufsicht des Mini- 
steriums des Innern dem Statthalter gelassen. Die Beamten der Commis- 
sion der inneren Angelegenheiten sind als etatslos zu betrachten.“ 
Nur um Europa nicht direct zu provociren, wird die bezüglich Polens 
völkerrechtlich festgesetzte Nomenclatur nicht ausdrücklich beseitigt, auch der 
bisherige Statthalter, freilich mit sehr beschränkter Competenz, auf seinem 
Platze belassen und die Stellung der politischen Agenten in Warschau nicht 
verändert. 
1. März. Der Minister des Innern Walujeff wird entlassen und durch 
26. 
den bisherigen Minister der Posten und Telegraphen Timatschew 
ersetzt. Die Entlassung Walujeffs wird als ein Sieg der nationalen 
Partei Kattroff in Moskau angesehen. 
„ (Nordwestl. Gouvernements). Der bisherige Civilgouver= 
neur Baranow wird abberufen und durch den früheren Kosaken- 
hetman Potapow ersetzt. 
Mit Unterdrückung des letzten polnischen Ausstandes wurde für Litthauen 
und die übrigen ehemals polnischen Gouvernements des russischen Reiches 
eine neue geographische Terminologie colportirt, zunächst angeregt von den 
Moskauer Nachrichten, dann popularisirt vom Golos und endlich aboptirt 
vom Gouvernement. So entstanden denn „das nordwestliche Land“ (sechs 
Gouvernements) und „das südwestliche Land“ (drei Gouvernements: Podo- 
lien, Volhynien und die Ukralne). Auch spricht man von den neun „,vwest- 
lichen Gouvernements“ als ein gewisses Ganzes. 
46. April. (Polen). Der Jahrestag des St. Petersburger Mordanfalls 
auf den Kaiser wird in Warschau amtlich gefeiert. 
In dem amtlichen Programm der Tagesfeier heißt es: „Die ausländischen 
Confessionen“, d. h. alle andern außer der griechisch-orthodoren, verrichten den 
Gottesdienst in ihren entsprechenden Kirchen. Hienach soll also nur die letz- 
tere Kirche, obwohl sie kaum einige kausend Bekenner in Polen zählt, die 
„inländische Confession“ sein, während alle andern Confessionen, einschließlich 
der katholischen, zu welcher vier Fünftel der Bevölkerung sich bekennen, „aus- 
ländisch" sind
	        
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