Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neunter Jahrgang. 1868. (9)

Uebersicht der Ereignisse des Jahrts 1868. 519 
heit ergriff, dem gesetzgebenden Körper, dem Lande und vor allem Frank- 
aus dem Rivalen jenseits des Rheins zu versichern, daß Frankreich 70. 
nunmehr jedem Gegner gewachsen und jeden Augenblick bereit sei, 
mit seiner Armee ins Feld zu rücken. Wofern dabei der neuen mo- 
bilen Nationalgarde oder Landwehr eine wesentliche Nolle zugedacht 
wird, war das bis Ende des Jahres 1868 doch nicht so ganz der 
Fall: ihre Organisation war bis dahin erst auf dem Papiere voll- 
endet und die Herstellung der Cadres sowie die Einübung der Mann- 
schaft verzog sich bis gegen die Mitte des Jahres 1869 und be- 
schränkte sich auch dannzumal noch erst auf Paris und die östlichen 
Departements und ist für den Westen und den Süden Frankreichs 
noch weit zurück und überdies dort ganz und gar nicht populär. 
Noch weiter zurück war und ist Oesterreich, die andere große Oester— 
Militärmacht, die ihre Streitkräfte im Jahre 1868 nach preußischem vich- 
Muster organisirt hat. Die frühere selbstgenügsame Ueberhebung, 
mit der man in Wien auf die preußischen Militäreinrichtungen und 
namentlich auf das Zündnadelgewehr herabgesehen, war mit dem 
Jahre 1866 gefallen und zwar glücklicher Weise für immer gefallen. 
Auch dort stand sofort die Einführung des Hinterladungssystems fest, 
aber nicht nur dieses, sondern auch die Einführung der allgemeinen 
Wehrpflicht. Die Regierung suchte die letztere noch vor Ende 1866 
sogar provisorisch thatsächlich einzuführen, scheiterte indeß damit vor- 
erst an dem constitutionellen Widerstande Ungarns. Gegen das 
Princip an sich hatten dagegen die Magyaren nichts einzuwenden 
und ebendazu ließen sich die Deutschen willig herbei. Aber da das 
gemeinsame Reichsministerium genöthigt war, über seine Vorlage 
einerseits mit dem ungarischen Landtage und anderseits mit dem 
österreichischen Reichsrathe zu unterhandeln, so verzögerte sich die 
Erledigung der ganzen Angelegenheit bis gegen Ende des Jahres 
1868. Auch in Oesterreich verlangte die Regierung von den Volks- 
vertretungen für die active Armee und die Reserve die Stärke von 
800,000 Mann, und dazu außer der Militärgrenze eine Landwehr 
von ca. 200,000 Mann, die sich diesseits der Leitha einfach an die 
active Armee anschließt, in Ungarn dagegen als eigene Honvedarmee 
auf nationaler Grundlage organisirt werden soll. In dem F.M.L. 
Kuhn scheint Oesterreich einen Kriegsminister gefunden zu haben, 
der an Intelligenz wie an Energie denjenigen Frankreichs und