Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neunter Jahrgang. 1868. (9)

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Uebersict der Ereisgnisse des Jahres 1868. 
Oester-Preußens nicht nachsteht und dem der Kaiser freie Hand läßt, in- 
neich, dem er sich wie in andern so auch in diesen militärischen Dingen 
in anerkennenswerther Weise entschloß, auf eine Reihe veralteter 
oder mit einem constitutionellen Regimente unverträglicher Einrich- 
tungen, wie die Adjutantur, das Generalinspectorat, das Regiments- 
inhaberunwesen u. dgl. zu verzichten und den Kriegsminister wirklich 
verantwortlich zu machen. Aber so schnell ging und geht es mit 
der Reorganisation der Armee auch in Oesterreich nicht und in 
Oesterreich noch weniger, da auch im Militär eine Reihe tiefgewur- 
zelter Uebelstände zu heben ist, die sich nur mit Zeit und Geduld 
heben lassen, die Finanzen des Reichs die größte Schonung verlan- 
gen und die Delegationen mit ihren Bewilligungen nothgedrungen 
sparsam sein müssen. So viel daher seit 1866 schon geschehen ist, 
um die österreichische Militärkraft den Anforderungen der modernen 
Zeit entsprechend umzugestalten und so achtunggebietend sie auch 
immerhin dasteht, so steht sie doch ohne Zweifel noch bedeutend 
hinter derjenigen Frankreichs und noch weiter hinter derjenigen 
Preußens und des norddeutschen Bundes zurück. 
Neben den Rüstungen dieser drei großen Mächte inmitten des 
Continents fallen natürlicher Weise die Anstrengungen der übrigen 
Staaten zweiten und dritten Ranges nur wenig ins Gewicht, wäh- 
rend Italien, Spanien und Rußland ihrerseits nur langsam nach- 
folgen. Die Gefahr eines Zusammenstoßes ist aber immerhin im Laufe 
des J. 1868 insoferne nicht vermindert, sondern eher erhöht worden 
und es ist nur begreiflich, wenn das Gefühl der Unsicherheit während 
des ganzen Verlaufs desselben nicht weichen wollte und, wofern nicht 
stärker, doch jedenfalls nicht schwächer geworden ist, während die 
Völker unter einer furchtbaren, bis dahin in solchem Grade fast 
unbekannten, ungeheuren Militärlast seufzten, die sie nur schwer er- 
tragen und auf die Dauer unmöglich ertragen können, ohne schwere 
Schädigung anderer nicht minder wichtiger, in Wahrheit entschieden 
wichtigerer Aufgaben des modernen Staatslebens. Die Machtver- 
hältnisse der verschiedenen europäischen Staaten sind durch die Er- 
eignisse des Jahres 1866 gründlich verschoben worden. Diesel- 
ben haben seither ihr Gleichgewicht noch nicht wieder gefunden und 
es ist z. Z. allerdings noch nicht abzusehen, wie sie dasselbe 
ohne einen neuen Zusammenstoß wieder finden sollen. Allein, wenn