Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neunter Jahrgang. 1868. (9)

Uebersicht der Erelgussse des Jahres 1969. 
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neue und schärfere Conflicte zwischen Staat und Kirche, sondern Nem. 
möglicher Weise selbst Bewegungen innerhalb der katholischen Kirche 
voraus, deren schließlicher Ausgang zur Zeit allerdings nicht abzu- 
sehen wäre. Was von Seite der Regierungen in Rom selbst und 
confidentiell geschehen ist, hat sich bis jetzt noch der öffentlichen Mei- 
nung entzogen. Frankreich aber scheint die Frage ernstlich in Er- 
wägung zu nehmen, ob es nicht angezeigt wäre, der Besetzung des 
Kirchenstaats noch vor dem Concil ein Ende zu machen und zur 
September-Convention mit Italien zurückzukehren, um wenigstens 
den Anschein zu vermeiden, als ob Rom eine so gewaltige Umwäl- 
zung unter seinem Schutze und mit seiner Connivenz vollziehe. 
So günstig auch die Aussichten Noms bezüglich der Stimmung 
und der Willfährigkeit der Bischöfe aller Länder, fast ohne Aus- 
nahme, seinen Wünschen zu entsprechen und sich seinen Bestrebungen 
anzuschließen, sein mögen, so ungünstig sind dieselben jedenfalls be- 
züglich der Laiengewalt und zwar in den weitesten Kreisen. Noch 
hatte der Papst seine Einladung zum Concil nicht lange erlassen, 
so traf die Curie, ihr System und ihre Ansprüche ein neuer Schlag, 
so daß in das eine Jahr 1868 zwei Schläge fallen, die für Rom 
gar nicht empfindlicher hätten ausgedacht werden können. Hatte sich 
ihr in der ersten Hälfte des Jahres Oesterreich, bisher ihre mäch- 
tigste und festeste Stütze, entzogen, so brach in der zweiten Hälfte 
auch noch die letzte, die ihr in Europa geblieben war, Spanien 
plötzlich und unerwartet zusammen. 
Spät, aber endlich doch erreichte das Verhängniß Isabella II.Syanien. 
von Spanien und das ganze Geschlecht der spanischen Bourbonen, 
das seit Generationen tief verkommen, Schuld auf Schuld bald aus 
Verdorbenheit des Herzens bald aus einem Leichtsinn ohne Grenzen 
gegen das unglückliche Land, zu dessen Herrscher es berufen war, 
auf sein Haupt gehäuft hat. Persönlich mag das Schicksal der 
Königin Isabella bedauert, persönlich mag sie nicht ohne Grund 
durch eine mehr als bloß mangelhafte Erziehung entschuldigt werden. 
Das letzte Urtheil über Schuld oder Nichtschuld steht ohnedem dem 
Menschen und seiner unter allen Umständen beschränkten Einsicht 
nicht zu. Thatsache ist es und das genügt, daß die Königin durch 
ein dissolutes Privatleben, das aller Ehre einer Frau, aller Würde 
einer Königin Hohn sprach, längst auch die letzte Spur einer Achtung