Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neunter Jahrgang. 1868. (9)

570 Ueberscht der Erelguisse des Jahres-1668, 
Spanien. von Seite ihres Volkes verscherzt hatte und daß es nur einen um 
so widerlicheren Eindruck machen mußte, wenn an einem Hofe, an 
dem auch nicht eine Spur wirklicher Religiösität, praktischen Christen- 
thums zu erkennen war, äußerlich die weitestgehende Devotion zur 
Schau getragen wurde, Beichtväter und Nonnen einen ganz unge- 
bührlichen Einfluß ausübten, trotz der gänzlichen Zerrüttung der 
Staatsfinanzen Millionen zu mehr weltlichen als geistlichen Zwecken 
nach Rom gingen und die Beschützung des Papstes für die erste 
und vornehmste Aufgabe des Landes erklärt wurde. Gleichzeitig 
herrschte im Innern der Einfluß wechselnder Günstlinge und ebenso 
rasch wechselnde weibliche Launen, welche leider vor keiner Gewalt- 
that zurückschreckten und zu Empörungsversuchen zwangen, die jedoch, 
so lange sie vereinzelt waren, blutig niedergeschlagen werden konnten, 
bis endlich alle Interessen gegen das Willkürregiment, das Keinen 
schonte, zusammenflossen, und zugleich das Gefühl moralischer Em- 
pörung die Oberhand gewann, um einer Dynastie ein Ende zu 
machen, die sich ebenso unfähig wie unwürdig bewiesen hatte, das 
Land fernerhin zu regieren. 
Nach dem Staatsstreich vom 29. Dec. 1866 gegen O'Donnel 
und die liberale Union blieb Isabellen keine Partei übrig, auf die sie 
sich stützen konnte und war ihre Herrschaft zu einem bloßen Gewalt- 
regiment herabgesunken, das Marschall Narvaez mit eiserner Gewalt 
ausübte durch die Armee, die er möglichst zu purificiren bestrebt 
war. Eine Insurrection in Catalonien und Andalusien scheiterte 
1867. Das Volk schien apathisch und die Führer der verschiedenen 
Parteien hatten zu verschiedene Zielpunkte, um sich unter einander 
so leicht verständigen zu können. Dies zu verhindern, war das 
Hauptaugenmerk von Narvaez und es gelang ihm auch. Allein zu 
Anfang des Jahres 1868 starb er ganz unerwartet und mit ihm 
der einzige Mann, der Ansehen genug hatte, das bereits wankende 
Regiment noch zusammenzuhalten. Ihm folgte als Haupt der Re- 
gierung Gonzales Bravo, der jenes Ansehen nicht besaß und zudem 
nicht Militär, übrigens bereit war, zu jedem Gewaltschritt die Hand 
zu bieten. Schon im Juli machte auch er seinen Staatsstreich. 
Ueberzeugt, daß die angesehensten, den verschiedenen Parteien ange- 
hörigen Generale über eine Verständigung gegen ihn unterhandelten, 
ließ er sie an einem Tage auf den verschiedenen Punkten des Landes