Ucbersicht der Ereigussse des Jahres 1868. 587
auffaßt und lösen will, so hat Oesterreich von Deutschland nichts zunufland.
besorgen, vielmehr denjenigen Rückhalt zu gewärtigen, dessen es zur
Erfüllung seiner Aufgabe im Osten bedarf, und kann auf die Rechte
verzichten, die ihm der Prager Friede bezüglich Süddeutschlands ein-
geräumt haben mag. Durch seine Politik gegen Polen und die pol-
nische Race beweist Rußland, daß es noch immer in seinem Kerne
ein durchaus barbarischer Staat ist, der nur in seinen Lenkern die
europäische Cultur in sich ausgenommen hat und im übrigen bloß
mit einem leichten europäischen Firniß überzogen ist. Seine wirk-
liche Aufgabe liegt weder im Westen noch im Süden von Europa
und früher oder später wird es doch dazu kommen, daß von Europa
gründlich und wenigstens auf die Dauer eines Jahrhunderts mit
ihm abgerechnet werden muß. Die orientalische Frage steht fortwäh-
rend im Hintergrunde und ihre Lösung wird insoweit wenigstens
kaum mehr allzu lange hinausgeschoben werden können, als entschie-
den werden muß, daß die Balkanhalbinsel unter keinen Umständen
und zu keinem Theile Rußland zufallen darf und Oesterreich von
dieser Seite zum mindesten keinerlei Gefahr mehr zu besorgen hat.
Davon zu trennen Frage ist die andere Seite der orienta-Türkel.
lischen Frage, diejenige des endlichen Schicksals der Pforte und
der schließlichen Gestaltung der verschiedenen Völkerschaften, welche
theils unter der directen Herrschaft, theils wenigstens unter der Su-
zeränetät des Sultans die Balkanhalbinsel bewohnen. Unter dem
Drucke Europa's ist den Osmanlis allmälig offenbar die volle Ein-
sicht ausgegangen, daß ihre Herrschaft wenigstens auf europäischem
Boden nur unter der Bedingung länger aufrecht erhalten werden
könne, wenn es ihnen gelinge, ihre christlichen Unterthanen zufrieden
zu stellen, indem sie denselben einen billigen Antheil an der Ordnung
ihrer eigenen Angelegenheiten einräumen. Nachdem die Concessionen
der Osmanenherrscher an dieselben lange Zeit lediglich auf dem Papier
gestanden hatten, werden endlich Anstalten gemacht, sie zur Wahrheit zu
machen. Die Vilajet-Verfassungen der einzelnen Provinzen sind wenig-
stens ein Versuch, der Anerkennung verdient und ebenso die im Jahre
1867 beschlossene Reorganisation des Staatsraths, die im Jahre
1868 ins Leben trat und den Rajahs den Zutritt auch zu den
höchsten Stellen des Reichs öffnet. Damit ist die Gleichberechtigung
aller Unterthanen des Sultans ohne Unterschied des Glaubensbekennt-