Oesterreich-Angarn. 251
Wahlmandats nicht vereitelt werden darf. Es wird von der Bevölkerung
schwer empfunden, daß Jahr für Jahr in landtäglichen Versammlungen die
Frage der Beschickung des Reichsraths einen Gegenstand des Streites bildet,
und damit unaufhörlich neue Krisen und Erschütterungen über das Reich
heraufbeschworen werden. Mit der dringend nothwendigen ruhigen und stetigen
Entwicklung des öffentlichen Lebens ist es nicht vereinbar, daß die Zufälligkeit
der Betheiligung oder Nichtbetheiligung einiger wenigen Personen an dem
Wahlacte nicht nur für das Wahlergebniß in der betreffenden Wahlgruppe
den Ausschlag gibt, sondern geradezu von entscheidender Bedeutung ist für
das Zustandekommen einer verfassungsmäßigen Vertretung des Reiches. Nur
wenn der Reichsrath von den Landtagen gelöst, und damit den Parteien die
Möglichkeit und Hoffnung genommen wird, von den Landtagen aus immer
und immer wieder Reichsrath und Verfassung in Frage stellen zu können,
kann erwartet werden, daß der unfruchtbare staatsrechtliche Hader in den Land-
tagen verstumme, und daß sich die Bewohner eines und desselben Landes im
Landtage zu gemeinsamer friedlicher Arbeit vereinigen, und dadurch das ge-
rechte Verlangen der Bevölkerung nach fruchtbringender Thätigkeit der Land-
tage befriedigen werden. Die Lösung des Reichsraths von den Landtagen
und die dadurch bewirkte Sicherung und Kräftigung der Centralvertretung
wird es erleichtern über die besondere Berücksichtigung Galiziens in der Gesetz-
gebung uud Verwaltung, soweit solche durch die eigenthümlichen Verhältnisse
dieses Königreiches gefordert wird, die erwünschte Verständigung herbeizuführen,
und so diese Angelegenheit zugleich mit jener der Wahlreform zum endgiltigen
Abschluß zu bringen." Im Gegensatze zu früheren Fällen ist die Debatte
dießmal nichts weniger als eine große Redeschlacht: die Führer der Verfass-
ungspartei schweigen, den Referenten Herbst ausgenommen, vollständig und
die Verhandlung beschränkt sich demnach auf die Darlegung der Stellung der
verschiedenen Nationalitätengruppen, welche die Minderbeit des Hauses bilden,
durch ihre Vertreter. Erklärung des Ministerpräsidenten: „Tie
Regierung hält es für ihre Pflicht, ehe in die Spccialdebatte eingegangen
wird, gegenüber dem vorliegenden Adreßentwurf ihren Standpunkt mit jener
Offenheit darzulegen, den sie sich in allen ihren Kundgebungen und Hand-
lungen zum Grundsatze gemacht hat. Mit der allerhöchsten Thronrede hat
das Programm, zu dessen Durchführung die gegenwärtige Regierung von Sr.
Mozj. berufen worden ist, seinen Ausdruck gefunden. Es sind darin sowohl
die Ziele, welche die Regierung anstrebt, als die Wege angegeben, auf welchen
sie dieselben mit der Unterstützung des hohen Reichsrathes zu erreichen hofft.
An diesem Programm werden und müssen wir unwiderruflich festhalten. In-
sofern in der Beantwortung der allerhöchsten Thronrede durch den vorliegen-
den Adreßentwurf der jetzigen Regierung ein Vertrauensvotum ausgesprochen
wird, welches wir mit freudigem Dank entgegennehmen würden, dürfen wir
darin die Erklärung erblicken, daß dieses Programm in seinem Ganzen und
in den Grundzügen seiner Durchführung die Zustimmung dieses hohen Hauses
gefunden habe, und daß wir auch auf die Unterstützung desselben rechnen
können. Allerdings besteht aber zwischen der allerhöchsten Thronrede und dem
vorliegenden Adreßentwurfe keine vollständige Congruenz, sowohl was den
Rückblick in die Vergangenheit, als was den Ausblick in die Zukunft anbe-
langt. Während in ersterer Beziehung die Regierung gewünscht hätte, daß
Über das Vergangene und Abgethane ein Schleier geworfen werde, behält sie
sich in letzter Beziehung vor, ihre Absichten, sowohl was die Sache selbst, als
was die Vorgangsweise anbelangt, in jenem nahe bevorstehenden Moment
auszusprechen, in welchem positive Vorlagen als greifbares Substract der Ver-
handlung vorhanden sein werden. Die Regierung gibt sich übrigens der
Hoffnung hin, auf diese Art die vollständige Uebereinstimmung und das har-
monische Zusammenwirken mit dem hohen Reichsrath in der entsprechendsten
Weise zu sichern.“ Der Antrag der Polen (Czerkowski) will den in der