Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreizehnter Jahrgang. 1872. (13)

Trankreich. 385 
Rede des Bischofs Dupanloup gegen die Preußen. Die fünf ersten 
Artikel des Gesetzesentwurfes, welche die allgemeine Wehrpflicht im 
Prinzip aussprechen, womit auch Thiers einverstanden ist, werden an- 
genommen. 
Aus der Generaldebatie: General Chanzy: Schon als es sich um 
die Handelsverträge handelte, gab uns der Präsident der Republik am 19. 
Januar den Wink, daß es nicht gut sei, gewisse Fragen auf dieser Tribune 
zu discutiren, während Europa ein Auge auf uns hat und dieses oder jenes 
Wort leicht mißdeuten könnte. Ich möchte Ihnen diesen weisen und patrioti- 
schen Rath auch heute in's Gedächtniß rufen. Die Commission hat die Frage 
in einjähriger Arbeit von allen Seiten auf das sorgsamste geprüft, sachlich 
und frei von jedem politischen Hintergedanken; sie ist schließlich zu einem voll- 
kommenen Einverständniß mit der Regierung gelangt. Es scheint mir also 
eine nationale Pflicht für uns, gefährlichen Discussionen aus dem Wege zu 
ngehen und die Debatte nach Möglichkeit einzuschränken. (Beifall links, starke 
Unruhe rechts.) General Trochu: Ich bitte Sie um die Erlaubniß, mich 
ganz offen auszusprechen; seien Sie versichert, daß ich nur deßhalb noch nicht 
von dem öffentlichen Schauplatz zurückgetreten bin, um meine Ideen über die 
Reorganisation unserer Armee vor dem Lande darlegen zu können. Ich werde 
hierbei manchen Widerspruch herausfordern, manche Empfindlichkeit verletzen: 
denn ich weiß, wie schwer es ist, sich gegen den Strom der durch Jahrhunderte 
Überlieferten und geheiligten Vorstellungen zu stemmen. Welche Lehre haben 
wir z. B. aus den Katastrophen von 1812—1815 gezogen? Gar keine. Im 
Jahr 1829 warnte der General Morand schon mit prophetischen Worten vor 
jenen Völkern, „welche Noth und ein hartes Klima in ihrer Vollkraft erhalten, 
und die stets zum Kampfe bereit sind, weil der Krieg ihre Lage nur verbessert, 
die nicht bloß materiell, sondern auch wissenschaftlich auf das beste gerüstet 
sind, da ihre Fürsten diesem Zweck alle ihnen zu Gebot stehenden Hilfsquellen 
zuwenden". Er sagte dieß, um die allgemeine Wehrpflicht zu empfehlen: nie- 
mand hörte ihn an. Man erklärt unsere letzten Niederlagen aus der Unzu- 
länglichkeit unserer Rüstungen, der Inferiorität unserer Artillerie, der Un- 
fähigkeit unserer Führer; alles das ist richtig, aber der wahre Grund liegt 
doch noch tiefer. Alle Armeen, welche in ihrer Vergangenheit eine ruhmvolle 
Legende haben, gehen gerade an dieser Legende unfehlbar zu Grunde. Die 
Legende Ludwigs XIV. führte zu Roßbach, die Legende Friedrichs des Großen 
zu Jena (einer schlimmeren Katastrophe, beiläufig gesagt, als diejenige, welche 
uns im Jahr 1870 beschieden war), die napoleonische Legende, die leuchtendste 
von allen, zu Niederlagen, welche in der Kriegsgeschichte aller Zeiten ohne 
Beispiel find. Es ist also ein allgemeines Gesetz: die Völker, die Armeen, 
welche eine ruhmreiche Legende haben, ruhen sich auf derselben aus, werden 
hochmüthig, lernen nichts mehr, kümmern sich nicht um die Fortschritte, welche 
anderwärts gemacht werden, und plötzlich bricht dann — ebenso gewaltig als 
plötzlich — die Vernichtung über sie herein. Redner unterzieht das napoleo- 
nische System einer scharfen Kritik. Drei verhängnißvolle Grundfehler 
haften dem Armeesystem des Kaiserreichs an: die Stellvertretung, die auf das 
straffste angezogene, jeder raschen Mobilisirung hinderliche Centralisation und 
die Entsittlichung der Charaktere. Diese drei Krebsschäden der Armee machten 
unter dem zweiten Kaiserreich nur noch weitere Fortschritte, und fanden ein 
heilsames Gegengewicht nur in dem weisen Offizier-Gesez, welches wir dem 
Marschall Soult verdanken. Darum muß man jetzt vor allen Dingen die 
Disliplin wieder aufzurichten suchen: da liegt das Heil für Frankreich. Man 
deuke an die Erfolge, welche in Preußen nach 1806 Männer wie Stein, Scharn- 
horst. Fichte, Arndt, Wilhelm v. Humboldt u. A. lediglich mit moralischen 
Mitteln erzielt haben. Auch ich möchte, wenn auch mit weniger Autorität, 
doch mit ebenso sester Ueberzeuguug, Ihnen zurufen: Bekennen wir unsere 
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