Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreizehnter Jahrgang. 1872. (13)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 79 
Ein Pärsschub von 50 Mitgliedern dürfte nicht zu viel sein, aber wahrschein- 
lich doch genügen, um den Widerstand des Herrenhauses zu brechen.“ 
13. Febr. (Deutsches Reich.) Die offiziösen Berliner Blätter sprechen 
sich sehr befriedigt aus über den Ausgang der Debatte bezüglich der 
sog. Reservatrechte in den Abg.-Kammern von Bayern und Württem- 
berg. Ein gerade entgegengesetztes ist dagegen das Urtheil der süd- 
deutschen democratischen, clericalen und particularistischen Blätter. 
Die erstern meinen: „So ist denn das Necht des Reichs aus den Kämpfen, 
welche die Reichsfeindlichen in Süddeutschland eröffnet haben, unversehrt, ja 
neu gestärkt hervorgegangen; der warme Dank der Nation gebührt den lei- 
tenden Staatsmännern. Die Neden der Minister in München und Stuttgart 
bleihen im guten Andenken derer, welche die Früchte einer gesunden organischen 
Entwicklung in Deutschland ernten. Sie gehören der Geschichte an.“ Die 
letztern dagegen erklären: „Die Einzellandtage haben hiernach ihre Bedeutung 
gänzlich verloren. Sie müssen gewärtigen, daß ihnen nun eine Competenz um 
die andere entzogen und daß sie so allmählich überhaupt überflüssig gemacht 
werden. Unter solchen Umständen lohnt es nicht mehr der Mühe, in diesen 
Landtagen etwas zu schaffen, von dem man nicht weiß, ob es nicht durch das 
Reich sofort wieder umgestoßen wird. Und was soll im Grunde das Volk 
auch sich für Reservatrechte und andere Zuständigkeiten ereifern, welche die 
Regierungen jeden Moment, ohne das Volk zu befragen, an das Reich ab- 
treten können? Das wäre nutzlose Arbeit. Die Verhältnisse liegen nunmehr 
klarer, als seither, und jetzt ist es für die politischen Parteien möglich, eine 
seste Stellung dazu zu nehmen. Es ist zweifellos geworden, daß die freiheit- 
lichen Ziele nicht da liegen können, wo ein Windhauch genügt, das ganze Ge- 
bäude wie ein Kartenhaus über den Haufen zu werfen, sondern nur da, wo 
Volksrechte und Volksfreiheiten nachhaltig gesichert sind, wenn es einmal ge- 
lungen, solche zu erkämpfen, — und das ist einzig im Reiche. Die ganze 
Kraft und Thätigkeit des Volkes ist also fortan im Reiche zu concentriren, 
nimmermehr aber darf sie für Conservirung von Zuständigkeiten, ohnehin 
meist nur in Kronrechten bestehend, vergeudet werden, welche die Einzeln- 
Regierungen jeden Augenblick an das RNeich ausliefern und womit sie dann 
alle mühsam erlangten freiheitlichen Errungenschaften wieder zu nichte machen 
önnen.“ 
(Preußen.) Eine von vielen Hundert deutschen Bürgern Posens 
besuchte Volksversammlung beschließt eine Adresse an den Fürsten 
Bismarck, welche diesem für seine Haltung den Dank der Deutschen 
Posens ausspricht und die Hoffnung betont, daß besonders auf dem 
Gebiete deutschen Schulwesens bald dem polnischen Parteigetriebe ener- 
gisch Einhalt gethan werde. 
14. „ (LDeutsches Reich.) Der seit längerer Zeit unterhandelte Post- 
vertrag mit Frankreich wird im deutschen Botschaftshotel zu Paris 
unterzeichnet, nachdem Frankreich endlich auf seine Ansprüche bezüglich 
der Transitpoststücke hat verzichten müssen, um nicht von Deutschland 
einfach umgangen zu werden. 
„ „ (Deutsches Reich.) Bundesrath: Der Ausschuß für Handel 
und Verkehr berichtet über die Errichtung der zahlreichen deutschen 
Consulate in dem Zeitraume vom 22. Sept. v. Is. bis 5. Febr. 
ds. Is. und beantragt, der Bundesrath wolle anerkennen, daß damit
	        
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