Full text: Europäischer Geschichtskalender. Achtzehnter Jahrgang. 1877. (18)

Aebersiht der volitiscen Gukwiselsnz des Jahres 1877. 515 
wird früher oder später nicht auf sich warten lassen; Spanien scheint 
dazu verurtheilt zu sein, aus einem Extrem in's andere fallen zu 
müssen. In Holland kam in Folge der Wahlen zur II. Kammer Ho#ond 
der Generalstaaten statt des halbconservativen Ministeriums Heems= und 
kerk wieder ein rein liberales Ministerium unter dem Vorsitze des 8lg 
Hauptes der Partei, Hru. Kappeyne van de Kapello, zur Gewalt, 
während in Belgien das clericale Ministerium Malou sich an der 
Gewalt erhielt und die Liberalen nur geringe Aussichten haben, so 
bald wieder ihrerseits an dieselbe zu gelangen. In Schweden kam Tie 
die von der Regierung seit mehreren Jahren mit lebhaftem Nach--#andma- 
drucke gesorderte Neorganisation der Armee auch im Jahre rWim 
noch nicht zu Stande. Regierung und Reichstag konnten sich über 
die Frage, da sie mit gewissen Steuerfragen im engsten Zusammen- 
hange steht, nicht rerständigen und eine Verständigung darüber 
scheint überhaupt noch in ziemlich weitem Felde zu sein, obgleich 
die Mehrheit der I. Kammer dabei auf Seite der Regierung steht, 
weil die Majorität der II. Kammer, die sog. Landmannspartei, der 
Regierung in dieser Frage entschieden widersteht, bei einer gemein- 
samen Abslimmung beider Kammern aber, wie es die schwedische 
Verfassung für streitige Fälle vorschreibt, die Regierung regelmäßig 
in der Minderheit bleibt. Doch führte die Differenz nicht zu einem 
tieferen Conflict zwischen der Regierung und der II. Kammer. In 
anderen Fragen, wie namentlich in der Förderung des Eisenbahn- 
wesens, gehen Negierung und Kammern Hand in Hand und sind 
einträchtig bemüht, die Fortschritte der Zeit auch Schweden nach 
Kräften zuzuwenden und zu sichern. Wie in Schweden, so wallet 
auch in Norwegen schon seit mehreren Jahren eine ziemlich tief grei- 
fende Differenz zwischen Regierung und Storthing ob über die Be- 
theiligung der Minister an den Verhandlungen des Storthings oder 
eigentlich über das Verhältniß der Minister zum Storthing über- 
haupt und auch diese Differenz konnte im Jahre 1877 nicht gehoben 
werden. Allein auch hier bleibt die Differenz wesentlich auf diese 
Frage beschränkt und ist nicht zu einem Conflict ausgewachsen. Da- 
gegen läßt sich nicht verkennen, daß die demokratische Strömung und 
die demokratische Partei in beiden Königreichen die Oberhand hat 
und daß die Stellung der Regierung ihr gegenüber vielfach eine 
ziemlich schwierige ist. Nach außen blieb es dabei, daß Schweden 
und Norwegen sich unter König Oscar entschieden Deutschland zu- 
neigen, während sein Vorgänger noch französischen Sympathien ge- 
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