Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zwanzigster Jahrgang. 1879. (20)

Uebersicht der polilischen Enlwicklung des Jahres 1879. 607 
Frankreich und der Gefahr eines russisch -französischen Bündnisses 
bieten mochte. Ob die Allianz aber alle diese Vortheile den beiden Aus- 
Mächten auch wirklich bieten werde? Das war die Frage. Zunächsst schten. 
beruhte die Allianz doch lediglich auf einer Verständigung der beiden 
leitenden Staatsmänner, auf der Zustimmung der beiden Herrscher 
und auf der ausgesprochenen Neigung der öffentlichen Meinung 
beider Länder, daraus eine Wahrheit zu machen. Es war doch nur 
ein erster Schritt, nur eine Grundlage, die des weiteren Ausbaues 
bedurfte, wenn daraus ein festes Gebilde für eine längere Zukunft 
erstehen sollte, wenn die neue Allianz bei der ersten ernsthaften Ver- 
wicklung der europäischen Dinge, die ja, wie sie liegen, jeden Augen- 
blick auftauchen konnte, bei der ersten großen Gefahr, die Deutsch- 
land oder Oesterreich-Ungarn bedrohen mochte, Stand halten und 
sich bewähren sollte. Leider läßt sich nicht verkennen, daß der innere 
Gang der Dinge, die innere Entwicklung sowohl Deutschlands als 
Oesterreich-Ulungarns im Jahre 1879 einem weiteren Ausbau, einer 
inneren Festigung der neuen Allianz nicht günstig war. 
In Oesterreich hatten, wie wir gesehen, um die Mitte des Oester- 
Jahres 1879 die allgemeinen Nemvahlen zum Abgeordnetenhausereichd der 
des Reichsrathes stattgefunden und war an die Stelle des üeber= necch-, 
hangsministeriums Stremayr das Vermittlungs= oder Versöhnungs= rath 
ministerium Taaffe, wie es sich selber nannte, getreten oder, wie hestne 
eigentlich richtiger bezeichnet werden mußte, das Coalitionsministe- 
rium Taaffe, da es so ziemlich zur Hälfte seiner Mitglieder der 
Linken oder der Verfassungspartei und zur Hälfte der Rechten oder 
der Autonomistenpartei angehörte. Der neugewählte Neichsrath aber 
bestand ganz ähnlich so ziemlich zur Hälfte aus Anhängern der 
Verfassungsparkei, zur andern aber aus Gegnern derselben und es 
war zweifelhaft, ob der eine oder der andere Theil um ein paar 
Stimmen schließlich die Mehrheit desselben besitzen werde. Eine aus- 
gesprochene Mittelpartei, wie es Graf Taaffe gewünscht hatte, war 
aus den Wahlen nicht hervorgegangen und der Leiter des neuen Mini- 
steriums so weit wenigstens in seinem Versuche gescheitert. Die 
Lage war unläugbar eine kritische und die öffentliche Meinung sah 
der weiteren Entwickelung mit Recht in großer Spannung entgegen. 
Am 7. Oktober trat das neue Abgeordnetenhaus, zum ersten Mal 
seit Jahren durch den Wiedereintritt der Czechen vollzählig, zu- 
sammen und diese leisteten auch noch am gleichen Tage den Eid 
auf die Verfassung ohne Beifügung irgend einer Bedingung oder
	        
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