Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1882. (23)

Großbrillannien. (Olt. 15.) 377 
durch den Tunnel zu schützen, die Meinung aus, daß man die Möglichkeit 
nicht außer Acht lassen dürfe, daß ein langer Zeitraum des Friedens und 
unnnterbrochener Ruhe Sorglosigkeit erzeugen dürfte, wodurch die Befestig= 
ungen unwirksam armiert oder un mreichend bemannt gelassen werden könn- 
teu, und somit keine Sicherheit gegen eine überrumpelunng bielen würden. 
Der Ausschuß verzeichnet demnach seine Meinung, daß es vermessen sein 
würde, absolutes Vertrauen selbst in die umfassendsten Anstalten zu setzen, 
die getrossen werden lönnten, um den Tunnel „absolut unbranchbar für 
einen Feind in jeder nur denkbaren Evenlualität“ zu machen. Zur Beant- 
wortung dieser Frage beschäftigte sich das Komité zuerst mit der Erörterung 
der Mittel zur Verteidigung des Tunnels und kam zu dem Schlusse, daß die 
Mündung des Tunnels außerhalb des Schußbereiches von der See aur liegen 
und durch die vorgeschobenen Werke einer Festung ersten Nanges beherrscht 
werden müßte; ferner müßle es möglich sein, den Tunnel auf eine bestimmte 
Länge mit irrespirablen Gasen zu füllen, ihn unter Wasser zu setzen oder 
ihn durch Minen auf dem Meeresgrunde ganz zu zerstören. DToch mußte 
das Komité zugestehen, daß es voreilig wäre, zu behaupten, daß der Tunnel 
mit Hilfe dieser Mittel unbediugt oder in allen Fällen unbrauchbar für 
einen Feind gemacht werden lönne. Sir John Adde gibt vielmehr in seinem 
Spegial-Gutachten die Möglichkeit zu, daß eine Invasion zur See mit Er- 
folg durchgeführt werde, und daß sich daun der Feind des Tunnels bemäch- 
tige. Sir Garnet Wolfeley und der Herzog von Cambridge sind deshalb 
unbedingt gegen die Anlage des Kanals überhaupt, um ja nicht die Sicher- 
heit der Lage Englands zu gefährden oder zu beeinträchtigen, wobei Ersterer 
den angeblichen Ausspruch Moltke's zitiert, er könne sich wohl ein Dutzend 
Wege denken, auf denen eine Armee nach England 4 gelanyen lönnte, aber 
nicht einen einzigen, auf dem sie wieder herauskäme. Die Anlage des Tunnels 
würde aber unter Umständen dem Feinde eben diesen einzigen Weg, den sich 
selbst ein Moltke nicht denken konnte, bielten. — In Frankreich freilich 
ist die Anschauung eine gang andere als in England und sprechen sich große 
und kleine Blätter über die englische Anschauung nicht ohne Bitterkeit aus. 
Alle sind der überzeugung, daß der Tunnel mit der Zeit doch zu Stande 
lommen werde. 
15. Oktober. Eine Anzahl indischer Militärs von der in 
Agypten verwendeten Division besucht mit Erlaubnis der Regierung 
London, späler noch mehrere, und sie werden dort vielfach gefeiert. 
Das Ereignis hat eine gewisse Bedeulung; es ist der erste Fall 
dieser Art. 
Als Beaconsfield s. Z. durch den Suez-Kanal Sipois (Sipahis) nach 
Malta zur etwaigen Verwendung im europäischen Oslen bringen ließ, brach 
die von Gladslone geführte Opposition in einen wahren Sturm über das 
Herbeiziehen asiatischer Söldner nach europä#schen Gewässern los. Das 
Rote Meer — hieß es damals — sein die Greuze, über die hinaus man 
solche Truppen nicht zeigen dürfe. Die Frage wurde gestellt: ob Lord 
Beaconsfield sich gar einmal vermessen werde, nicht-enropäische Soldaten auf 
die Normannischen Inseln zu bringen? Im Namen der geheiligten englischen 
Verfassung klagte man ihn des gefährlichsten Imperialismus an. Nun 
wandeln solche schwarzebranne Krieger am Parlamentshause in London vor- 
bei und scheinen sich merkwürdig stolz zu fühlen; ihr Gang drückt es in 
jeder Bewegung aus. Mit einer das Mutterland noch überbietenden über- 
schwenglichkeit gibt sich denn auch in Indien das ganze Land der ungetrüb-
	        
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