Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Febr. 4—7.) 35
selben durchführen. Der Antrag Luthardt wird schließlich von der ge-
schlossenen Rechten gegen die geschlossene Linke angenommen.
4. Februar. (Baden.) II. Kammer: beschließt über das
Abstlimmungsrecht ihres Präsidenten, daß derselbe nicht abstimmen
dürfe, sobald auch ohne seine Stimme die Mehrheit nach der einen
oder der andern Seite hin sicher ist. Nur bei Stimmengleichheit
soll der Präsident den Ausschlag geben.
Durch diesen Beschluß werden künftig den 30 nationalliberalen Stim-
men die 31 der vereinigten ultramontan-demokratisch-konservativen Opposition
gegenüber stehen. In den meisten Fällen wird dann die Stimme des katho-
lischen aber nicht ultramontanen Abg. Baumstark die Gleichheit herbeiführen
und der z.B. liberale Präsident den Ausschlag geben. Das Mandat des
Abg. Baumstark ist jedoch angefochten. Die Geschäftsordnungskommission
trägt zwar mit 4 gegen 3 Stimmen auf die Giltigkeit desselben an, da die
Reaktivierung Baumstarks nur eine Fortsetzung seines früheren Amtes sei
und mit einer Versetzung auf gleicher Linie stehe; auch sei Baumstark sogar
in eine niedrigere Besoldungsklasse gekommen. Allein die Nichtgiltigkeits-
erklärung seines Mandats mit 31 gegen 30 Stimmen steht trotzdem zum
voraus als eine abgemachte Sache fest und wenn er dann nicht wieder ge-
wählt und durch einen Ultramontanen ersetzt wird, so gebietet die Oppo-
sition, wenn sie zusammenhält, über eine Mehrheit von 2, jedenfalls aber,
selbst wenn der Präsident wechseln sollte, über eine solche von 1 Stimme.
7—8. Februar. (Preußen.) Abg.-Haus: Erste Lesung der
kirchenpolitischen Vorlage der Regierung. Der Kultminister v. Goßler
legt den Standpunkt der Regierung, die gegenwärtigen Zustände
und die Absichten resp. Hoffnungen der Regierung in längerer Rede
dar. Schließlich wird die Vorlage an eine Kommission von 21 Mit-
gliedern verwiesen.
In der Debatte kommen die Ansichten der verschiedenen Fraktionen
deutlich zum Ausdruck, zumal ihr zum Teil längere Fraktionsberatungen
über die Frage vorausgegangen sind. Die drei liberalen Gruppen sind
über die grundsätzliche Ablehnung der diskretionären Vollmachten einig.
Dagegen stimmen die Grafen Wintzingerode, Limburg-Stirum und — Hr. Stoltz,
in denen die Freikonservativen und die beiden Nuancen der Alt- und
Neukonservativen ihre Vertreter ins Treffen senden, unter der Bedingung,
daß die diskretionären Vollmachten, die eigenllich keiner Partei ganz sym-
pathisch sind, an eine Frist gebunden werde, überein in der Bewilligung der
von der Regierung in der Vorlage aufgestellten Forderungen. Die früher
in kirchenpolitischen Angelegenheiten den gemäßigten Liberalen näher stehen-
den Freikonservativen folgen hiebei der veränderten Stellung der Regierung,
und die äußerste Rechte behält sich vor, ihre prinzipiellen Neigungen zu
Gunsten des Zentrums bei weiteren Gelegenheiten zur Geltung zu bringen.
Das Zentrum lehnt die Vorlage in der Fassung der Regierung entschieden
ab, und Frhr. v Schorlemer wie Windthorst betonen mit allem Nachdruck,
daß nur eine „Beseitigung“ oder „Aufhebung“" der Maigesetze die Katho-
liken befriedigen könne; indessen legt der diplomatischere Parteiführer doch
zugleich den Schwerpunkt in die Frage, ob die Regierung in einem be-
stimmten Zeitraum an eine „materielle Revision“ jener Gesetze herantreten
wolle, und vielfach herrscht der Eindruck vor, daß die Partei auf den Versuch
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