Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1882. (23)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Febr. 4—7.) 35 
selben durchführen. Der Antrag Luthardt wird schließlich von der ge- 
schlossenen Rechten gegen die geschlossene Linke angenommen. 
4. Februar. (Baden.) II. Kammer: beschließt über das 
Abstlimmungsrecht ihres Präsidenten, daß derselbe nicht abstimmen 
dürfe, sobald auch ohne seine Stimme die Mehrheit nach der einen 
oder der andern Seite hin sicher ist. Nur bei Stimmengleichheit 
soll der Präsident den Ausschlag geben. 
Durch diesen Beschluß werden künftig den 30 nationalliberalen Stim- 
men die 31 der vereinigten ultramontan-demokratisch-konservativen Opposition 
gegenüber stehen. In den meisten Fällen wird dann die Stimme des katho- 
lischen aber nicht ultramontanen Abg. Baumstark die Gleichheit herbeiführen 
und der z.B.  liberale Präsident den Ausschlag geben. Das Mandat des 
Abg. Baumstark ist jedoch angefochten. Die Geschäftsordnungskommission 
trägt zwar mit 4 gegen 3 Stimmen auf die Giltigkeit desselben an, da die 
Reaktivierung Baumstarks nur eine Fortsetzung seines früheren Amtes sei 
und mit einer Versetzung auf gleicher Linie stehe; auch sei Baumstark sogar 
in eine niedrigere Besoldungsklasse gekommen. Allein die Nichtgiltigkeits- 
erklärung seines Mandats mit 31 gegen 30 Stimmen steht trotzdem zum 
voraus als eine abgemachte Sache fest und wenn er dann nicht wieder ge- 
wählt und durch einen Ultramontanen ersetzt wird, so gebietet die Oppo- 
sition, wenn sie zusammenhält, über eine Mehrheit von 2, jedenfalls aber, 
selbst wenn der Präsident wechseln sollte, über eine solche von 1 Stimme. 
7—8. Februar. (Preußen.) Abg.-Haus: Erste Lesung der 
kirchenpolitischen Vorlage der Regierung. Der Kultminister v. Goßler 
legt den Standpunkt der Regierung, die gegenwärtigen Zustände 
und die Absichten resp. Hoffnungen der Regierung in längerer Rede 
dar. Schließlich wird die Vorlage an eine Kommission von 21 Mit- 
gliedern verwiesen. 
In der Debatte kommen die Ansichten der verschiedenen Fraktionen 
deutlich zum Ausdruck, zumal ihr zum Teil längere Fraktionsberatungen 
über die Frage vorausgegangen sind. Die drei liberalen Gruppen sind 
über die grundsätzliche Ablehnung der diskretionären Vollmachten einig. 
Dagegen stimmen die Grafen Wintzingerode, Limburg-Stirum und — Hr. Stoltz, 
in denen die Freikonservativen und die beiden Nuancen der Alt- und 
Neukonservativen ihre Vertreter ins Treffen senden, unter der Bedingung, 
daß die diskretionären Vollmachten, die eigenllich keiner Partei ganz sym- 
pathisch sind, an eine Frist gebunden werde, überein in der Bewilligung der 
von der Regierung in der Vorlage aufgestellten Forderungen. Die früher 
in kirchenpolitischen Angelegenheiten den gemäßigten Liberalen näher stehen- 
den Freikonservativen folgen hiebei der veränderten Stellung der Regierung, 
und die äußerste Rechte behält sich vor, ihre prinzipiellen Neigungen zu 
Gunsten des Zentrums bei weiteren Gelegenheiten zur Geltung zu bringen. 
Das Zentrum lehnt die Vorlage in der Fassung der Regierung entschieden 
ab, und Frhr. v Schorlemer wie Windthorst betonen mit allem Nachdruck, 
daß nur eine „Beseitigung“ oder „Aufhebung“" der Maigesetze die Katho- 
liken befriedigen könne; indessen legt der diplomatischere Parteiführer doch 
zugleich den Schwerpunkt in die Frage, ob die Regierung in einem be- 
stimmten Zeitraum an eine „materielle Revision“ jener Gesetze herantreten 
wolle, und vielfach herrscht der Eindruck vor, daß die Partei auf den Versuch 
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