8 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 11.—14.)
Das Zentrum beantragt auf ein Jahr die volle Höhe, auf drei
Jahre 441,200 Mann zu bewilligen.
Frhr. v. Huene erstattet den Bericht über die Kommissionsbeschlüsse,
darauf erhält Graf Moltke das Wort:
„Meine Herren, niemand von uns täuscht sich wohl über den Ernst
der Zeit, in welcher wir uns befinden. Alle größeren europäischen Regie-
rungen treffen eifrigst Vorkehrungen, um einer ungewissen Zukunft entgegen-
zugehen. Alle Welt fragt sich: werden wir den Krieg bekommen? Nun,
meine Herren, ich glaube, daß kein Staatslenker freiwillig die ungeheure
Verantwortung auf sich nehmen wird, die Brandfackel in den Zündstoff zu
werfen, welcher mehr oder weniger in allen Ländern angehäuft ist. Starke
Regierungen sind eine Bürgschaft für Frieden. Aber die Volksleidenschaften,
der Ehrgeiz der Parteiführer, die durch Schrift und Wort mißgeleitete öffent-
liche Meinung, das alles, meine Herren, sind Elemente, welche stärker werden
können als der Wille der Regierenden; haben wir doch erlebt, daß selbst
Börseninteressen Kriege entzündeten. Wenn nun in dieser politischen Span-
nung irgend ein Staat in der Lage ist, für die Fortdauer des Friedens zu
wirken, so ist es Deutschland, welches nicht direkt in den Fragen beteiligt
ist, welche die übrigen Mächte aufregen; Deutschland, welches seit dem Be-
stehen des Reiches gezeigt hat, daß es keinen seiner Nachbarn angreifen will,
wenn es nicht von ihm selbst dazu gezwungen wird. Aber, meine Herren,
um diese schwierige, vielleicht undankbare Vermittlerrolle durchzuführen, muß
Deutschland stark und kriegsgerüstet sein. Werden wir dann gegen unseren
Willen in den Krieg verwickelt, so haben wir auch die Mittel, ihn zu führen.
Würde die Forderung der Regierung abgelehnt, meine Herren, dann glaube
ich, haben wir den Krieg ganz sicher. Es ist ja nun erfreulich und wird
seine Wirkung nach außen nicht verfehlen, daß von den großen Parteien
dieses Hauses keine ist, welche ungeachtet mancher verschiedenen Ansichten in
inneren Angelegenheiten der Regierung die Mittel verweigern wird, welche
sie nach gewissenhafter Erwägung von uns für die Berteidigung nach außen
fordert; nur über die Zeitdauer der Bewilligung sind die Ansichten sehr
abweichend von einander. Da möchte ich nun nochmals daran erinnern,
daß die Armee niemals ein Provisorium sein kann. Die Armee ist die vor-
nehmste aller Institutionen in jedem Lande; denn sie allein ermöglicht das
Bestehen aller übrigen Einrichtungen, alle politische und bürgerliche Frei-
heit, alle Schöpfungen der Kultur, die Finanzen, der Staat stehen und fallen
mit dem Heere. Meine Herren, Bewilligungen auf kurze Frist, sei es auf
ein, sei es auf drei Jahre, helfen uns nicht. Die Grundlage jeder tüchtigen
militärischen Organisation beruht auf Dauer und Stabilität; neue Kadres
werden erst wirksam im Verlauf einer Reihe von Jahren. Meine Herren,
ich glaube, ich darf sagen, daß heute die Augen Europas auf diese Ver-
sammlung gerichtet sind, auf die Beschlüsse, welche Sie in einer so hoch-
wichtigen Angelegenheit fassen werden. Ich wende mich an Ihren patrioti-
schen Sinn, wenn ich Sie bitte, die Regierungsvorlage unverkürzt und
unverändert anzunehmen. Zeigen Sie der Welt, daß das Volk und die Re-
gierung einig sind, und daß Sie, meine Herren, bereit sind, jedes Opfer,
auch das Opfer einer abweichenden Ansicht zu bringen, wenn es sich um die
Sicherung des Vaterlandes handelt!“ (Lebhaftes Bravo rechts.)
Hierauf begründet Frhr. v. Stauffenberg (df.) seinen Antrag.
Redner verwendet sch zum Schlusse ganz besonders für jährliche Bewilligung
des Heeresetats, um die Beratungen darüber künftig weniger schwierig und
aufregend zu machen. Dieses Verfahren sei auch das beste für das Heer
und er hätte gewünscht, daß dasselbe von konservativer Seite beantragt wor-
en wäre.