10 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 11.—14.)
Monarch eine starke Armee erstrebt hat, nämlich in der Absicht, demnächst
einen Krieg zu führen, sei es um bestimmte Zwecke durchzusetzen, sei es um
irgend etwas zu erobern, sei es des Prestiges urd des Bedürfnisses wegen,
sich in die Angelegenheiten anderer Mächte vorwiegend einzumischen, also
z. B. die orientalische Frage von hier aus zu regulieren. Ich glaube aber,
auch dies wird als vollständig unbegründet gefunden werden von jedem, der
darüber nachdenkt, wie friedliebend die Politik Seiner Majestät des Kaisers
bisher seit 16 Jahren gewesen ist. Es ist ja wahr, der Kaiser hat sich ge-
nötigt gesehen, zwei große Kriege zu führen, aber diese beiden Kriege waren
ein uns überkommenes zwingendes historisches Ergebnis früherer Jahrhun-
derte. Sie werden die Thatsache nicht bestreiten, daß der gordische Knoten,
unter dessen Verschluß die nationalen Rechte der Deutschen lagen, das Recht,
als große Nation zu leben und zu atmen, nur durch das Schwert gelöst
werden konnte — leider, und daß auch der französische Krieg nur eine Ver-
vollständigung der kriegerischen Kämpfe bildete, durch welche die Herstellung
der deutschen Einheit, das nationale Leben der Deutschen geschaffen und
sichergestellt werden mußte. Also man kann daraus nicht auf kriegerische
Gelüste schließen. Wir haben keine kriegerischen Bedürfnisse, wir gehören
zu den — was der alte Fürst Metternich nannte: saturierten Staaten, wir
haben keine Bedürfnisse, die wir durch das Schwert erkämpfen könnten; und
außerdem wenn das der Fall wäre, so blicken Sie doch auf die friedliebende
Thätigkeit — und ich sage das ebenso gut nach dem Auslande, wie hier zu
dem Reichstage — der Kaiserlichen Politik in den letzten 16 Jahren. Nach
dem Frankfurter Frieden war unser erstes Bedürfnis, den Frieden möglichst
lange zu erhalten und zu benutzen, um das deutsche Reich zu konsolidieren.
Diese Aufgabe war keine leichte. Im Reichstage selbst ist uns damals vor-
gehalten worden als ein Vorwurf über die Ergebnisse unserer Politik —
weil wir den Mut gehabt hatten, für Deutschlands Einigkeit zu kämpfen —,
daß wir eine Situation geschaffen hätten, in der der nächste Krieg wahr-
scheinlich sehr nahe bevorstehend sein würde. Man sprach damals von 4,
5, vielleicht 3 Jahren, die es dauern würde bis zum nächsten Kriege. Meine
Herren, es ist gelungen, wenn auch nicht ohne starke Gegenströmungen zu
überwinden, den Frieden seit 16 Jahren zu erhalten. Unsere Aufgabe haben
wir zuerst darin erkannt, die Staaten, mit denen wir Krieg geführt hatten,
nach Möglichkeit zu versöhnen. Es ist uns dies vollständig gelungen mit
Österreich. Die Absicht und das Bedürfnis, dahin zu gelangen, beherrschten
bereits die Friedensverhandlungen in Nikolsburg im Jahre 1866, und es
hat uns seitdem nie das Bestreben verlassen, die Anlehnung an Österreich
wieder zu gewinnen, die wir vor 1866 nur scheinbar und buchstäblich hatten,
die wir jetzt in der Wirklichkeit vollständig besitzen. (Bravol rechts.) Wir
stehen mit Österreich in einem so sicheren und vertrauensvollen Verhältnisse,
wie es weder im deutschen Bunde trotz aller geschriebenen Verträge, noch
früher im heiligen römischen Reiche jemals der Fall gewesen ist (bravo!
rechts), nachdem wir uns über alle Fragen, die zwischen uns seit Jahrhun-
derten streitig gewesen sind, in gegenseitigem Vertrauen und gegenseitigem
Wohlwollen auseinandergesetzt haben. Es war die Aussöhnung mit Oster-
reich aber nicht allein das Ziel, welches unsere Friedenspolitik erstrebt hat.
Wir haben uns erinnert, daß die Freundschaft der drei großen östlichen
Mächte in Europa, wenn sie auch manche verdrießliche Folgen für die öffent-
liche Meinung und andere Staaten gehabt haben mag, doch Europa über
30 Jahre lang den Frieden bewahrt hat, den Frieden in einer Epoche, in
der die Quellen entstanden sind, die den Wohlstand, den wirtschaftlichen Auf-
schwung, die gesamte wissenschaftliche, technische und wirtschaftliche Entwicke-
lung Europas befruchtet und befördert haben. Die Quellen davon liegen