Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 11. —14.) 19
aufzuerlegen, ist so lange recht schwierig, als man nicht mit Rußland ein-
verstanden ist, und dieses Einverständnis, glaube ich, liegt sehr fern für
Frankreich. Aber man könnte doch uns immerhin die Bedingung auferlegen,
daß Frankreich Gerant derjenigen Rechte ist, welche der König von Preußen
seinen polnischen Unterthanen zu gewähren hat. Man könnte in dieser Ga-
rantie noch weiter gehen nach anderen Richtungen. Ich will das nicht weiter
verfolgen; ich will Ihnen bloß die Möglichkeit schildern, der wir bei einem
unglücklichen Kriege ausgesetzt sind. Halten Sie das für übertrieben? Meine
Herren, Sie kennen die Zukunft doch nicht; was die Entschließungen eines
supponierten französischen Siegers sein würden, das können Sie doch unmög-
lich wissen. Wir würden, wenn wir jetzt von neuem von Frankreich ange-
griffen würden und uns noch überzeugen müßten, daß wir nie und unter
keinen Umständen Ruhe haben, ähnlich verfahren, wenn wir wieder als
Sieger in Paris sind. Wir würden uns bemühen, Frankreich auf 30 Jahre
außer Stand zu setzen, uns anzugreifen, und uns in den Stand zu setzen,
daß wir gegen Frankreich mindestens für ein Menschenalter vollständig ge-
sichert sind. Der Krieg von 1870 würde ein Kinderspiel sein gegen den von
1890 — ich weiß nicht, wann — in seinen Wirkungen für Frankreich.
(Bravol) Also das wäre auf der einen Seite wie an der anderen Seite
das gleiche Bestreben; jeder würde versuchen de saigner à blanc.
Nun, meine Herren, ich kann mir darnach nicht denken, wer über-
haupt sich stark genug fühlt, die Verantwortung für die Möglichkeit des
Eintritts solcher Zustände zu übernehmen. Die verbündeten Regierungen
sind es ganz sicher nicht; die werden die Verantwortlichkeit dafür nicht tragen.
Die verbündeten Regierungen haben — nach dem Eingang zur Bundesver-
fassung ist der oberste Zweck des Bundes der Schutz des Bundes und des
Bundesgebietes — sie haben dem Volk gegenüber die Verantwortlichkeit da-
für, daß dieser Schutz jederzeit vorhanden sei; der kann nicht improvisiert
werden je nach dem Belieben einer parlamentarischen Majorität durch ein
Budgetvotum, der muß dauernd vorhanden sein, der ist eine fundamentale
Institution unserer deutschen Einrichtungen. (Bravo! rechts.) Und die ver-
bündeten Regierungen sind fest entschlossen, die Verantwortung dafür nicht
zu tragen, sondern sich mit dem vollen Gewicht ihrer Autorität und ihrer
verfassungsmäßigen Rechte dafür einzusetzen, daß Deutschland nicht minder
geschützt bleibe, als es seinen Kräften nach sein kann. Das, was einstweilen
nach dem militärischen Urteil für diesen Zweck als Bedürfnis bezeichnet
worden ist, sind 40,000 Mann zur Verstärkung der Grenzbesatzungen gegen
den ersten Anlauf und eine Steigerung der Zahl ausgebildeter Soldaten,
die wir im Lande haben, um jährlich etwa 16,000 Mann; also in der
Dauer eines Septennats um beinahe 120,000 Mann, in der Dauer der
zwölfjährigen Dienstzeit um beinahe 200,000 Mann. 100,000 Mann sind
eine Armee, und wenn der Krieg später ausbricht, so sind wir um so viel
stärker; es ist ein Gewicht, das einen Krieg und die entscheidende Schlacht
einerseits zu entscheiden vermag, ob wir 100,000 Mann mehr haben. Wollen
Sie die Verantwortlichkeit dafür tragen, daß dies Gewicht nicht zur Ver-
fügung sei? Wir wollen es nicht, und ich bin überzeugt, es wird uns mög-
lich sein, es zur Verfügung zu erhalten, mag Ihr Votum ausfallen heute,
wie Sie wollen. (Bravo!l rechts.) Ob diese Einrichtung nun für längere
oder kürzere Zeit getroffen werden soll, das ist eine Frage, auf deren Gebiet
sich die Diskussion in der jüngsten Zeit ja vorwiegend bewegt hat. Wir
haben sie auf sieben Jahre verlangt aus keinem anderen Grunde, als weil
die Ziffer von sieben Jahren die Grundlage eines früheren Kompromisses
war; weil wir der Überzeugung sind, daß das konstitutionelle Leben über-
haupt aus einer Reihe von Kompromissen besteht, und weil wir gern an
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