Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 11.—14.) 21
gegebene Gesetz beschränkt sind. Das Gesetz auf Grund des Art. 60 zieht die
obere Grenze der Zulässigkeit der Präsenzziffer; der Kaiser kann nicht darüber
hinausgehen. Nach diesem Gesetze dauert sie noch bis zum nächsten Jahr,
1888; wenn dieses Gesetz schwindet, ein neues nicht zu stande kommt, dann
sind wir weit entfernt davon, daß diese Grenze sinkt, oder die Armee ver-
schwindet, sondern es steigt die obere Grenze der berechtigten Präsenzstärke
der Armee bis zu dem Satze des Art. 59 der Verfassung: „Jeder wehr-
pflichtige Deutsche hat 3 Jahre lang bei der Fahne zu dienen.“ Das ist
dann unsere Präsenzziffer, die wir erreichen dürfen. Das ist eine finanzielle
Unmöglichkeit, eine militärische Unbequemlichkeit, und deshalb hat die Ver-
fassung, schon bevor das Versprechen im Art. 60 entstand, durch den vierten
Absatz des Art. 63 das Moderamen gegeben, daß der Kaiser den Präsenz-
stand der Kontingente des Reichsheeres bestimmen soll. Also der Kaiser ist
dann der Moderator, der allein zu sagen hat, wie hoch unter dem von Art. 59
gegebenen Präsenzstand der letztere sein soll. Wenn wir nach Kaiserlicher
Machtvollkommenheit strebten, dann wäre dieser Zustand für uns außerordent-
lich erwünscht, und wir könnten nur sagen: stellen Sie die Sache so kurz
wie möglich, es ist zu bedauern, daß das Frühjahr 1888 nicht schon da ist;
dann würden wir wahrscheinlich uns nicht einigen können über den Inhalt
des Gesetzes, welches auf Grund von Art. 60 gemacht werden soll, und es
würde dann der alte verfassungsmäßige Zustand wieder eintreten. Es ist
auch dann nicht die Möglichkeit, durch das Budgetrecht im Ausgabeetat dem
entgegenzuwirken; denn in dem vierten und letzten Alinea des Art. 62 ist
ausdrücklich gesagt worden: „Bei der Feststellung des Militärausgabeetats
wird die auf Grund dieser Verfassung gesetzlich feststehende Organisation des
Reichsheeres zu Grunde gelegt.“ Sie könnten uns also, ohne Ihrerseits sich
vom Boden der Verfassung zu entfernen, gar nicht verweigern, wenn eine
Präsenzziffer überhaupt nicht nach Art. 60 der Verfassung gesetzlich festgelegt
ist, das Ausgabebudget dem entsprechend einzurichten. Wenn also keine Ver-
ständigung, die für die verbündeten Regierungen annehmbar ist im Hinblick
auf die äußere Sicherheit des deutschen Reiches, zu stande kommt, so liegt
durchaus kein Zustand vor, in dem die deutsche Armee von der Bildfläche
zu verschwinden hätte; sondern es tritt ganz einfach die größere Kaiserliche
Machtvollkommenheit, die die Verfassung stipuliert, wieder in Kraft. Um
dem Reichstage die Mitwirkung dabei zu bewahren, ist der Art. 60 geschaffen,
und ist das Gesetz versprochen, das die Präsenzstärke, die der Kaiser nicht
überschreiten darf, mit Zustimmung des Reichstags, das heißt durch ein Gesetz,
feststellen soll. Diese Bindung existiert augenblicklich bis 1888 und existiert
nur durch dieses Gesetz. Lesen Sie in allen Ihren gesinnungsbefreundeten
Rechtsbüchern darüber nach: Rönne, Laband, lesen Sie andere, — Sie werden
immer finden, daß die Mitwirkung des Reichstags, der Einfluß des Reichs-
tags auf die Höhe des Heeres allein beruht auf der Fortdauer der Gesetze,
die auf Grund von Art. 60 gemacht werden, und die dem Kaiser in seiner
Machtvollkommenheit eine niedrigere Grenze ziehen, als er nach der Ver-
fassung haben würde. Meine Herren, das ist doch eigentlich gar kein Grund,
warum Sie so lüstern nach Krisen sind und alle drei Jahre, ja sogar jedes
Jahr denselben Streit haben wollen, ob das deutsch- Heer bestehen soll oder
nicht; denn wenn Sie in diesem Streite anderer Meinung bleiben als die
verbündeten Regierungen, so würde Ihre Meinung nach dem Inhalte der
Verfassung von keiner durchschlagenden Wirkung sein. Sie kompromittieren
sich ganz ohne Not darüber in einer Richtung, in der Ihren Willen durch-
zusetzen Sie nicht die Macht haben, weil Sie das verfassungsmäßige Recht
nicht haben. Sie haben die Verfassung nicht gelesen, wenn Sie glauben
können, daß es Ihnen möglich ist, in jedem Jahre durch das Budget die