Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dritter Jahrgang. 1887. (28)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 11. -14.) 23 
ja auch eine sozialdemokratische Majorität in diesem Hause möglich. — Es 
kann unmöglich der Wille der deutschen Nation sein, daß sie auf diese Weise 
in ihrer Wehrhaftigkeit, in der Sicherheit im eigenen Heere abhängig sein 
soll von den jedes Jahr wechselnden Majoritäten des Parlaments. Es liegt 
das ganz außerhalb der Verfassung, und die verbündeten Regierungen wünschen 
zu einem neuen Kompromiß zu gelangen, aber zu einem siebenjährigen, zu 
keinem kürzeren. Wir wollen die Krisen und die Gefahr der Konflikte nicht 
häufen, und wir wollen den Gedanken nicht aufkommen lassen, als wären 
Sie überhaupt berechtigt, einseitig ohne die Mitwirkung des Bundesrats und 
des Kaisers über den Bestand des deutschen Heeres zu verfügen. Gegen 
diesen Gedanken allein würden wir schon an die Wähler appellieren, ob dies 
der Wille des Volkes ist; und die verbündeten Regierungen sind ihrerseits 
entschlossen, mit dem ganzen Gewicht ihres Einflusses im Reiche und im 
Volke für die Aufrechterhaltung der Wehrhaftigkeit Deutschlands und des 
Heeres einzutreten. (Bravol) Von Seiner Majestät dem Kaiser werden Sie 
doch unmöglich erwarten, daß er in seinem neunzigsten Lebensjahre nun das 
Werk desavouiert und zu seiner Zersetzung mitwirken will, dem er die letzten 
30 Jahre seines Lebens gewidmet hat, der Schöpfung des deutschen Heeres 
und der Schöpfung des deutschen Reiches. Wenn Sie das glauben, wenn 
Sie irgend durch Ihr Verhalten uns die Überzeugung geben, daß Sie dahin 
streben, wenn Sie nicht durch eine baldige und vollständige Annahme unserer 
Vorlage die Sorge der verbündeten Regierungen um die Wehrhaftigkeit 
Deutschlands befriedigen, dann ziehen wir es vor, die Unterhandlungen mit 
einem anderen Reichstage, als den ich hier vor mir sehe, mit Aussicht auf 
mehr Erfolg fortzusetzen. (Bravol) Und dieser Entschluß liegt seiner Ausführung 
sehr viel näher, als Sie annehmen. Wir werden uns nicht auf lange Ver- 
handlungen mehr einlassen, sondern die Gefahr, in die wir das deutsche 
Volk durch Verschleppung und Verzögerung möglicherweise setzen können — 
ich sage nicht: notwendigerweise —, wird uns zwingen, darüber bald eine 
Gewißheit zu haben oder bald mit anderen Leuten zu reden, die uns Gewiß- 
heit geben.“ (Lebhaftes Bravo.) 
Nachdem hierauf der Referent der Kommission v. Huene sich und 
die Kommission gegen den Vorwurf des Reichskanzlers, man gehe darauf 
aus die Armee und das Reich zu zersetzen, mit Bezugnahme auf den Passus 
der Rede Moltke's verteidigt hat, daß die großen Parteien bereit seien, der 
Regierung die Mittel zu gewähren und nur die Zeitfrage strittig sei, erwidert 
der Reichskanzler: 
„Der Herr Referent ist im Irrtum, wenn er annimmt, ich hätte 
die Absicht gehabt, die Kommission anzugreifen und speziell den Herrn 
Referenten. Ich bin dazu um so weniger im stande geweien, als es mir 
nicht möglich gewesen ist, den Bericht der Kommission überhaupt bisher 
kennen zu lernen. (Hört! hört! — Bewegung.) — Ja, meine Herren, Sie 
unterschätzen die Geschäfte, die ich habe. Außerdem muß ich sagen, daß mir 
der Kommissionsbericht, und damit die Möglichkeit, ihn kennen zu lernen, 
nicht früher zugegangen ist, als heute früh im Bette; da habe ich ein Kon- 
volut von 64 gedruckten Seiten erhalten, und ich habe seitdem nicht die 
Möglichkeit gehabt, dasselbe durchzulesen; ich habe eine Menge anderer 
Nebengeschäfte, das werden Sie mir zugeben, außerhalb meiner Reichstags- 
thätigkeit. — Also der Gedanke, die Kommission und vor allem den von 
mir verehrten Herrn Referenten anzugreifen, hat mir ganz außerordentlich 
fern gelegen. Was der Herr Referent sonst angeführt hat, daß ich eine 
Kritik über die Gegner gefällt hätte, das beruht ja doch auf einzelnen 
Meinungsverschiedenheiten. Was ist Wehrhaftigkeit? und wann ist Wehr- 
haftigkeit vorhanden? Ist darüber die Kommission oder der Generalstab hier 
  
 
	        
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