24 Das deutschsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 11. - 14.)
die entscheidende Behörde? Wenn der Herr Referent uns sein Referat ge-
macht hätte mit einem Artikel 1 in der Tasche, der in dem Entwurf weg-
gefallen ist, dann hätte das Ding mehr Hand und Fuß. Aber was ist denn
das Referat? Es ist ja die Schuld von niemand; es ist die Schuld der
Divergenz der Ansichten, daß der Kopf, das eigentlich entscheidende der Vor-
lage, gar nicht hier zu unserer Entschließung kommt. Darüber kann ich
aber dem Herrn Referenten und auch selbst der Kommission gar keine Vor-
würfe machen; denn ich kann die Kommission von der Notwendigkeit, heterogen
zusammengesetzt zu sein, die in der Zusammensetzung des Reichstages liegt,
nicht befreien. Also das ist ein Unglück, aber kein Vergehen."
Hobrecht (nl.) tritt hierauf für die Vorlage der Regierung ein,
dann ergreift der Reichskanzler das Wort:
„Ich habe in der Hauptsache nochmal um das Wort gebeten, um eine
Vergessenheit wieder gut zu machen, die ich vorher bei der Reichhaltigkeit des
Stoffs begangen habe. Ich habe die Fälle, in denen wir meiner Ansicht nach
unter Umständen einen Angriff von Frankreich zu erwarten haben, nicht so voll-
ständig klar gestellt, wie ich beabsichtigte; ich habe nur den Fall erwähnt, daß
eine französische Regierung ans Ruder kommen könnte, die glaubte, uns an Rüst-
ungen und Kraft so weit überlegen zu sein, daß sie des Sieges sicher wäre, —
wenigstens dieselbe Sicherheit hätte, welche die französische Armee im Jahre 1870
hatte, als sie gegen uns in den Krieg zog; ich habe aber einen anderen Fall, bei
dem eine solche Siegessicherheit gar nicht so absolut notwendig ist, und den
ich erwähnen wollte, übergangen, einen Fall, der doch auch ein ziemlich
breites Feld in den Konjekturen einnimmt, die wir machen müssen, wenn
wir auf alles gerüstet sein wollen. Das ist der Fall, daß ähnlich wie unter
dem dritten Napoleon die Unternehmungen nach außen hin als ein Sicher-
heitsventil für die inneren Angelegenheiten dienen sollten (sehr richtig! rechts),
daß man im Innern gewissermaßen nicht mehr weiß, wo aus noch ein, daß
man in der Verlegenheit ist, aus der man sich dadurch zu ziehen sucht, daß
man auf seinen friedliebenden Nachbar einhaut. Es wäre das namentlich ja
möglich, wenn in Frankreich eine Regierung von militärischen Neigungen
ans Ruder käme. (Hört! hört! rechts.) Ich will noch gar nicht sagen:
eine militärische Diktatur, aber doch eine Regierung, die sich sagte: ich weiß
nicht, ob wir uns, wenn wir lediglich die inneren Fragen ansehen, hier
werden halten können; wenn es uns aber gelingt, einen populären Krieg
zu entzünden, so haben wir immer noch die Chance, daß wir uns halten,
wenn wir siegen; werden wir geschlagen, dann ist es nicht schlimmer, als
wenn wir so zur Abtretung genötigt werden, und wir haben dann wenigstens
die ganze große Tragfähigkeit des französischen Patriotismus, der auch für
eine geschlagene Regierung unter Umständen Partei nimmt, und der sich ent-
zündet, wenn Frankreich im Krieg ist. In Frankreich ist eine Redensart:
dieser Regierung keinen Groschen, und wenn der Feind auf dem Kreuzberg
steht! — ja absolut unmöglich. (Sehr richtig! rechts.) Da stellt sich jeder
Franzose; der päpstliche Zuave und der Sozialdemokrat dienen alle unter
einem Regiment, so wie das Vaterland in Gefahr ist. Bei uns — ich
kanns nicht finden! (Unruhe im Zentrum und links.) — Doch? glauben
Sie? ich will es abwarten. Also diese Möglichkeit liegt doch auch vor.
Wenn Napoleon III. den Feldzug 1870 gegen uns, einen großen und schweren
Krieg, der ihm den Thron kostete, — in keiner Weise durch das Ausland
genötigt, unternahm, lediglich weil er glaubte, daß das seine Regierung im
Inlande befestigen würde, — warum sollte dann nicht z. B. der General
Boulanger, wenn er ans Ruder käme, dasselbe versuchen? (Sehr richtig!
rechts.) Ich würde ihm gar nicht einmal ein Verbrechen daraus machen,
ich würde ihn gar nicht einmal beschuldigen, daß er dabei persönlichen In-