Frankreich. (Dezember 15. bzw. 16.) 357
sellschaften für gegenseitige Hülse und die Sparkasse, die Regelung der Ar-
menpflege auf dem Lande, die Förderung des landwittschaftlichen Unterrichts,
die Errichtung von Landwirtschaftskammern, die Vollendung des Ackergesetz-
buchs, und endlich bitten wir Sie, Ihre Abstimmung über die gesamten
Militärgesetze zu beschleunigen.
Nachdem Tirard hierauf 3/2 des noch unfertigen Budgets
für das folgende Jahr gefordert und erklärt hat, aus der Bewilli-
gung desselben keine Vertrauensfrage machen zu wollen, indem die-
selbe eine Verpflichtung sei, die niemand ablehnen dürfe, wird diese
Forderung mit 521 gegen 13 Stimmen angenommen und Tags
darauf die Session geschlossen.
Der „Temps“ widmet der beendeten Session einen Nachruf, in dem
es heißt: „Alles atmet auf, daß man einmal drei Wochen Ruhe hat; diese
Session hat das Land mehr beunruhigt als je eine! Es hilft nichts, die
Sache zu verschweigen, es ist besser, den Ursachen nachzuforschen!“ Als
solche hebt der Temps hervor den Leichtsinn, wodurch die Kammer periodische
Kabinettskrisen herbeiführt, die Tod und Verderben für den Gang der Ver-
waltung seien; sodann die Ueberraschungen und die Aufregungen durch
Theaterkoups, das Trachten nach einer neuen Verteilung der Portefeuilles
und die Jagd nach Einfluß: „Die Kammer amüsiert sich und das Land ärgert
sich; das ist denn doch eine zu ungleiche Verteilung, und man fragt: Welche
Rolle spielen wir in Europa mit unserer Politik, in der die Komödie des
Ränkespieles und des Melodramas mehr Raum einnehmen als die Sorge
für die Wirklichkeit. Daher ein zunehmendes Mißtrauen, das jetzt nur gegen
die Kammer gerichtet ist, aber sich im Zunehmen auch gegen das parlamen-
tarische System selbst und gegen die liberale Regierungsform wenden könnte."“
Das „Journal des Debats“ hebt als Beweis der bodenlosen Leicht-
fertigkeit der Kammer den Fall mit dem Pferdefutter für die Reiterei her-
vor: Am 29. Oktober wird der Kriegsminister durch Kammerbeschluß ge-
zwungen, das bisherige System aufzugeben, wonach die Lieferungen durch
Zuschlag auf ein Jahr besorgt wurden; die Kammer beschließt direkte Leitung,
d. h. besonderen Zuschlag für den Monat und für jede Garnison. Um von
dem alten System zum neuen überzugehen, können natürlich die Ankäufe auf
ein Jahr, deren Verträge ablaufen, nicht erneuert werden, der Staat muß
aber die Unternehmer für die von ihnen gemachten Ankäfe entschädigen;
der Kriegsminister verlangt zur Ausführung des Kammerbeschlusses einen
Zusatzkredit von 11,648,000 Fr. Das gefällt der Kammer aber nicht; man
ärgert sich ohnehin, daß das direkte System mehr als das der Beschaffung
durch Lieferanten auf Jahresfrist kostet, und bewilligt die 11,648,000 Fr.
nicht, sondern nur 4,377,000 Fr. Weshalb? Weil dieß ungefähr der Preis
für den Verbrauch eines Monats ist. Die Kammer hat gar nicht begriffen,
um was es sich handelte: „Sie wollte etwas thun und hat 4 Millionen be-
willigt, sie hätte auch jede andere Summe bewilligen können; der Kriegs-
minister mag zusehen, wie er fertig wird!“ In der letzten Stunde vor
Schluß der Session kam der Fall vor den Senat, und dieser beschloß, um
sich die Sache zu überlegen, Vertagung bis zur nächsten Session. Der Kriegs-
minister befindet sich nun in der angenehmen Lage: er soll dem Beschluß
vom 29. Oktober nachkommen, das Lieferantensystem aufgeben, direkte An-
schaffungen machen, die kostspieliger find, und obenein verweigert die Kammer
ihm. die nötigen Kredite, deren er bedarf, um ihren Beschluß ausführen
zu können!